Glaesener Helga
Fenstern fiel.
Als sie einen dieser Lichtkegel passierten, begann Rossi zu sprechen. »Sehe ich das richtig – du hast den Dicken rausgeworfen?«
»Den …? Meinst du etwa Signore Incorni?«
Rossi ließ sie höflich an einem der Treppchen, die die Gassen miteinander verbanden, vorausgehen.
»Ich habe ihn natürlich nicht hinausgeworfen, aber ich fühlte die Verantwortung, ihm deutlich zu machen …«
»Vorsicht, noch eine Stufe.« Er griff nach ihrem Arm.
»… dass mein Herz …«
»Gute Entscheidung. Der Kerl ist ein Idiot.«
»Aber … Rossi, er ist keinesfalls …«
»Du wärst an seiner Brust vertrocknet.« Rossi ließ sie los, und sie spürte seine Zufriedenheit.
»Nein, nein …« Augusto war ein herzensguter, nachsichtiger Mensch. Er hätte ihr ein anständiges Nadelgeld ausgesetzt und dafür gesorgt, dass sie ihren Liebhabereien nachgehen konnte, von denen er annahm, dass sie aus Einkäufen und dem Besuch von Gesellschaften bestanden. Sie kaufte übrigens wirklich gern ein, und sie liebte es auch, unter Menschen zu sein. Die Abende in Tancredis Florentiner Literaturzirkel riefen heute noch Schauer der Sehnsucht auf ihren Rücken. Augusto hätte ihr womöglich gar erlaubt, weitere Artikel für die Meinungen der Babette zu schreiben. Und wahrscheinlich sogar mit der exzentrischen Gattin angegeben … Ein munteres Ding , meine kleine Cecilia , hat sich aufs Schreiben gestürzt … »Er ist ein großzügiger Mann.«
Rossi schnaubte geringschätzig. Er bog in ein Seitengässchen ein. »Wer einem Prachtkerl wie Arthur die kalte Schulter zeigt …«
»Verehrter Giudice Rossi, Arthur Billings hat nie etwas zu mir gesagt, was auch nur entfernt den Anschein erwecken könnte …«
»Er umkreist dich wie die Katze das Törtchen.«
Cecilia musste lachen.
»Andererseits – wenn du mit seinen Irren nicht klarkommst … Das ist ein wichtiger Punkt. Ich meine es gut mit euch.«
»Gott helfe mir vor denen, die es gut mit mir meinen«, erklärte Cecilia inbrünstig, während sie den Rocksaum hob, um nicht zu stolpern.
»Keine Aussicht, dass du dich doch noch für sein Tollhaus erwärmen könntest?«
»Rossi …«
»Dann lass es. Ehrlich gesagt – auf die Dauer wärst du für ihn sowieso zu anstrengend.«
»Ich bin anstrengend?« Sie versuchte, trotz der Dunkelheit in seinem Gesicht zu lesen.
»Und ob!«
»Ein harter Vorwurf, wenn er aus dem Mund eines so umgänglichen Geschöpfes kommt.« Sie stieß ihn in die Seite und tat, als wäre es scherzhaft gemeint, aber ein wenig getroffen fühlte sie sich doch. Anstrengend?
Die Stadt blieb hinter ihnen zurück, und nach einem Fußmarsch, der sie durch ein Wäldchen führte, tauchte das Asyl auf. Dottore Billings hatte das ehemalige Augustinerkloster in einem fröhlichen Gelbton streichen lassen, aber die Farbe konnte nicht von den Gitterfenstern ablenken, die sich über die ganze Breite der Vorderfront zogen. Im Gegenteil – sie hoben sie erst recht hervor.
Unkraut und Pferdemist auf dem Weg, … das schief herabhängende Ende einer Dachrinne … Wenn man genau hinsah, erkannte man den chronischen Geldmangel, unter dem das Asyl litt, obwohl Arthur hauptsächlich wohlhabende Verrückte aufnahm. Aber deren Verwandtschaft schien Dankbarkeit nicht in klingender Münze auszudrücken wollen.
Cecilia zog den Kopf zwischen die Schultern, als Rossi den Glockenstrang betätigte. Er lachte, als er es bemerkte. »Du weißt doch, sie sind harmlos.«
»Jaja.«
Es war Arthurs Anliegen und sein unermüdliches Bestreben, die Bevölkerung Montecatinis und wenn möglich den Rest der Welt davon zu überzeugen, dass Irresein weder eine Strafe Gottes noch ein Ausdruck von Böswilligkeit oder gar der Antrieb zu verbrecherischem Handeln sei. Seinem guten Herzen schien das sowieso einleuchtend, aber auch sein scharfer Verstand hatte dafür Beweise gesammelt, und er stand zu diesem Thema in hitziger Korrespondenz mit seinen Kollegen diesseits und jenseits des Meeres. Die Chorstunde diente ihm also nicht nur als eine die Seele beruhigende Übung für seine Patienten, sondern war gleichzeitig der rührende Versuch, ein Band des Verständnisses zwischen den Irren und den Gesunden zu knüpfen.
Einer der Pfleger öffnete und führte Rossi und Cecilia durch die hallenden, nach Reinigungswachs riechenden Korridore bis zu einem Raum mit bodentiefen Fenstern, die den Blick auf den Garten im Innenhof freigaben. Die Sofas waren von den Wänden und die Stühle vom Tisch gerückt worden, so dass sie einen Halbkreis
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