Glaesener Helga
empfahl Bruno. Cecilia schlug den Rat in den Wind und ging hinauf ins Arbeitszimmer. Sie fand Rossi auf der Chaiselongue liegend, wo er die Arme unter den Kopf gelegt hatte und an die Decke starrte.
Er mochte wütend sein, aber offenbar war ihm nicht nach einsamem Grollen zumute. »Der Mann war ein Bauernopfer … Nun komm schon rein. Und mach die Tür zu! Luporis Männer haben ihn an der Grenze erwischt. Sie haben ihn eingesackt, und Lupori, der Scheißkerl, hat ihn foltern lassen, bis ihm alles aus dem Mund sprudelte, was sie von ihm hören wollten. Er hat ihn foltern lassen! Bruno sagt, der Mann hatte gebrochene …«
»Aber er ist im Pumpenhaus gewesen?«
»Folterung ist ein Irrwitz der Justiz. Welche Wahrheit drehst du jemandem mit der Folter aus dem Hals? Die, die du hören willst. Vielleicht war der Mann im Pumpenhaus. Er benutzte falsches Arsenik, und falsches Arsenik wurde dort gefunden. Was aber noch lange nicht heißt, dass er Marios Mörder ist. Er besaß keinen Hund. Das ist Tatsache – die eine Tatsache, die sich sicher beweisen lässt, denn darüber wurden Aussagen gemacht. Dutzende Menschen haben den Theriakmann gesehen – immer ohne Hund. Sogar mit einer Furcht vor Hunden, die sie lächerlich fanden. Aber Lupori schert sich nicht um Aussagen. Das Verbrechen wurde gesühnt – und nun fahr zur Hölle mit deinem Hochmut, Enzo Rossi. O Gott, wenn man es genau nimmt, habe ich den Mann in dieses Fegefeuer getrieben. Die Hinrichtung galt mir . Bleib in deinem Gehege – das soll das arme Galgenluder mir sagen.«
»Quäl dich doch nicht.« Cecilia umrundete den Schreibtisch und ließ sich auf Rossis Stuhl nieder.
»Das Gesetz ist etwas Heiliges.«
»Ja, aber …«
»Und ich kann nichts tun. Ich kann … nicht das Geringste … tun.«
Die Schatten hatten im Zimmer ein seltsames Lichtspiel begonnen. Zwei helle Streifen fielen vom Fenster zur gegenüberliegenden Bücherwand. Und obwohl sie kaum Ähnlichkeit mit einem Gitter besaßen, fühlte Cecilia sich an das Gefängnis erinnert, in dem der Theriakverkäufer seine schreckliche Haftzeit verbracht hatte. Sicher war er erschöpft gewesen, sicher hatte er sich verzweifelt verkriechen wollen, wenn sie ihn in seine Zelle zurückbrachten. Hatte er gefroren? Gedürstet? Hatte er geweint, wenn er ihre Schritte kommen hörte? Er hatte keine Chance gehabt, der Hölle zu entfliehen. So wenig wie Francesca der Trülle entkommen konnte, bis ihre Zeit vorüber war.
Cecilias Blick schweifte über Rossis Schreibtisch. Die Platte war mit Papieren übersät, die sich zu schiefen Türmen stapelten – vielleicht nach Wichtigkeit geordnet, sie hatte keine Ahnung. Sein stählerner Füllfederhalter lag neben dem Tintenfässchen. Auf der Schreibfläche direkt vor dem Stuhl befand sich ein aufgeschlagenes Buch, in dem er mit roter Tinte unterstrichen und Fragezeichen gemalt und Kommentare geschrieben hatte.
»Der Granduca ist mutig. Er wagt Neues. Er will das Beste. Wir können uns nicht beklagen. Aber bei der Todesstrafe zögert er. Beccaria, Sonnenfels, Voltaire, Thomasius …« Rossi ballte die Fäuste, die auf seinem Magen lagen. »Die größten Denker Europas haben es vorgebetet … Aber die Vergangenheit ist zu stark. Der Bestie ist nur mit bestialischen Methoden beizukommen … Mumpitz …«
»Marzia«, sagte Cecilia halblaut.
»Folter bedeutet, dass der Starke, der die Schmerzen aushält, freigelassen wird, während der Schwache … Was ist mit Marzia?«
»Man müsste mit ihr reden. Sie und Mario waren ein Liebespaar, und ich glaube, dass sie ihn auch dann noch liebte, als sie sich mit Feretti einließ. Warum sonst wäre sie auf den Friedhof gekommen, um sich von ihm zu verabschieden? Wenn sie etwas über seinen Mörder weiß, lebt sie mit einer schrecklichen Last. Eine Frau müsste mit ihr reden, jemand, dem sie ihr Herz ausschütten kann …«
Warum sage ich das? Ich reite mich rein, dachte Cecilia. Das geht mich doch alles nichts an. Ich kenne diesen baumelnden Gauner gar nicht. Und Francesca, die der armen Grazia das Herz gebrochen hat … oder hätte, wenn Grazia von ihr gewusst hätte … Aber Marzia wird nicht mit Rossi reden. Wenn sie überhaupt mit jemandem über Mario spricht, dann mit einer freundlichen Seele, von der sie Verständnis und Mitgefühl erhoffen kann.
»Da ist etwas dran«, murmelte Rossi. »Ja, ich denke, da werden wir ansetzen.«
Wir?
Er sprang auf. Er sah so fiebrig aus vor Ungeduld, dass sie nicht das Herz hatte, ihm zu sagen, dass seine
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