Glaesener Helga
mit einem Gewehr daneben. Ich konnte ihn gerade noch daran hindern, es ihr abzunehmen und sich auf sein Pferd zu schwingen.«
»Und nun?«
Rossi hatte den ersten Stiefel vom Fuß gezogen – Himmel, wie das stank! – und ruckelte ungeduldig am zweiten.
»Und nun?«, wiederholte Cecilia.
»Ich bin zu Francescas Haus geritten. Sie war nicht dort. Sie war auch nicht bei Salvatore. Wenn ich sie erwische …«
»Willst du sie etwa verhaften?«
»Besten Dank für die Frage! zufällig ist es gegen das Gesetz, anderer Leute Hunde in der hauseigenen Scheiße zu ersäufen. Und dazu mit geschwärzten Gesichtern! Francesca stand im Getümmel wie ein verdammter General. Das ist kein Verdacht von mir. Feretti hat sie erkannt. Und seine Frau auch. Ich glaub’s ihnen.«
»Wo willst du hin?«
»Schlafen«, knurrte er, während er auf Strümpfen die Treppe hinaufstapfte.
Cecilia wartete, bis er verschwunden war. Dann öffnete sie die Haustür und schaute auf den Marktplatz hinaus, wo die Dame auf dem Denkmal einsam der Dunkelheit trotzte. Sie haderte mit sich. Francesca benahm sich unmöglich. Kein Grund, sich ihretwegen in Ungelegenheiten zu stürzen. Lass dich in nichts verwickeln, Cecilia. Die Sache geht Rossi etwas an, aber dich nicht. Du hast deine Finger schon viel zu tief in den Brei gesteckt. Unglücklich zog sie die Schultern hoch. Schließlich kleidete sie sich an und schlüpfte auf den Marktplatz hinaus.
Rossi war zu den Sümpfen geritten und hatte Francesca in ihrer Hütte und anschließend bei Salvatore gesucht. Und dabei natürlich völlig daneben geraten. Cecilia wandte sich in die entgegengesetzte Richtung. Sie vergrub sich in ihrem Mantel und ging so rasch, wie es in den engen Schuhen, die sie sich übergestreift hatte, möglich war. Wie immer, wenn sie nachts unterwegs war, hatte sie Angst. Man konnte das beschauliche Montecatini wahrhaftig keine Suhle des Verbrechens nennen, doch wenn die Sonne verschwand, schien es sich in ein Wesen mit bösen Absichten zu verwandeln. Als hätte es die schwarze Maske eines Straßenräubers übergezogen. Die vereinzelten Lichter
– Fenster, hinter denen Mütter bei kranken Kindern saßen oder hoffnungslos Verliebte ihr Gestammel aufs Papier brachten – wirkten auf Cecilia nicht gemütlich, sondern wie Raubkatzenaugen. Wolfsaugen, dachte sie und ärgerte sich, weil sie über ihr eigenes Bild schauderte.
Sie fuhr zusammen, als sie hinter sich ein Geräusch hörte. Ein Eimer oder etwas Ähnliches schepperte, als wäre er umgefallen und gegen eine Wand gerollt. Sie horchte – auf Hundepfoten und Geknurr? Ja, Herrgott! – und schalt sich selbst eine Gans. Rossi hatte recht, sich Sorgen zu machen. Diese verfluchten Hunde geisterten inzwischen durch jedermanns Phantasie.
Allmählich ließ die Dunkelheit nach. Als Cecilia das Stadttor erreichte, sah sie im diffusen Licht der Morgendämmerung, dass das Törchen zum Friedhof offen stand. Sie schritt hindurch und fand Francesca, die wie ein dunkler Klumpen zwischen den Gräbern kauerte. Ihre Mantelkapuze war vom Kopf geweht, und ihr schwarzes Haar umhüllte ihr helleres Gesicht wie ein mit Kohle gemalter Heiligenschein. Marios Grab war mit getrockneten Blumen übersät, die Francesca in Form eines Herzens angeordnet hatte.
»Es kommt mir nicht ratsam vor, sich gerade hier zu verstecken«, flüsterte Cecilia.
Die Seifensiederin hob den Kopf und maß sie von Kopf bis Fuß mit dem Blick einer Frau, die sich ihrer selbst völlig sicher ist. »Ich verstecke mich nicht.«
»Es kommt mir trotzdem nicht ratsam vor.«
Francesca rekelte sich. Sie musste in der Zeit, die sie neben dem Grab zugebracht hatte, halb erfroren sein. Das Holzbein spreizte sich von ihrem Körper, als hätte sich das Leder, mit dem sie es am Unterschenkel befestigte, gelockert.
»Was, wenn Feretti auf den gleichen Gedanken kommt wie ich?«
»Wird er nicht. Er ist verschlagen, aber so blöd wie Hühnerkacke.«
»Und was wollen Sie nun tun? Sie können hier nicht sitzen bleiben. Sie erfrieren.«
»Ist mir klar. Nur komme ich leider nicht wieder hoch. Bin manchmal auch ein bisschen blöde.« Francescas Lippen verzogen sich zu dem seltsamen Lächeln, zu dem ihre Narbe sie zwang. Es war still, bis auf das Pfeifen des Windes, der sich unter den Schindeln der Friedhofskapelle brach. In der Ferne, auf einem der einsamen Gehöfte, krähte ein Hahn. Cecilia streckte die Hand aus. Sie musste sich ordentlich anstrengen, um die Verkrüppelte auf die Füße zu bekommen. Francesca lehnte
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