Glaesener Helga
Anwesenheit der guten Sache wenig förderlich sein würde.
Marzia war nicht zu Hause.
Jedenfalls sah es zunächst so aus. Auf Cecilias Klopfen rührte sich nichts. Rossi setzte über eine hüfthohe weiße Mauer seitlich des Hauses, die den Garten des Grundstücks umgab. Eine Ratte sauste quieckend durch die Sträucher und fegte durch die Gitter des Gartentörchens.
»Marzia Rondini, mach auf«, brüllte der Richter und hieb mit der Faust gegen ein Fensterkreuz. »Du bist da – das weiß ich.«
Irgendjemand auf der anderen Straßenseite wusste es nun auch. Ein Kopf mit einer rotweiß gestreiften Hausmütze erschien in einem der Fenster. Cecilia winkte verlegen, die Fensterläden wurden zugeknallt. »Marzia!«
Stille.
»Marzia, dies ist ein offizieller Besuch!«
Endlich. Hinter der Haustür hörte man Schritte. Im
nächsten Moment schaute Cecilia einem derangierten, wutbebenden und entschieden alkoholisierten Mann in die Augen. Ferettis Kanonikergesicht war aus den Fugen geraten. Die dünnen Haare hingen strähnchenweise in das gelbliche Gesicht, feucht, wie angeklebt. Sein Hemdkragen war offen und einiges andere auch. »Was?«, brüllte er. »Waaaas?«
Rossi sprang über das Mäuerchen zurück. Cecilia hatte erwartet, dass er irgendetwas sagen würde – stattdessen packte er zu, und erst jetzt merkte Cecilia, dass Feretti sie hatte schlagen wollen. Aber doch nicht wirklich?, fragte sie sich schockiert und wich einen Schritt zurück. Er hatte doch nicht vorgehabt, eine Dame zu schlagen?
»Mir immer auf’n Fersen, Rossi, ja? Du und deine …?« Das Wort ging unter. »Schnüffeln, hä? Schnff … Schnüffelhund. Du schnüffelst mir nach, ja …« Feretti schwankte, griff in die Luft und bekam die Türzarge zu fassen.
»Du bist besoffen, Sergio.«
»Klar bin ich be … soffen.« Feretti richtete sich mühsam auf. »Und … ich geh zu Lupori.«
»Weil ich Marzia befragen will, mit der du gar nichts zu tun hast?«
Feretti schüttelte den Kopf. Er sah aus wie ein Ochse, der vor eine Wand gelaufen war. Sein stierer Blick wanderte von Rossi zu Cecilia, dann wieder zu Rossi. »Die woll’n mich umbringen.«
»Was?«
»Francesca. Ihre Scheißfreunde. Die hams auf mich … auf mich abges …« Er schwankte, drehte sich halb im Kreis und krallte seine Hand in Rossis Schulter. Was er brabbelte, war nicht mehr zu verstehen. Das Wort umbringen kam mehrmals darin vor. Er war schrecklich betrunken. Cecilia bemerkte einen Schatten im hinteren Teil des Flures.
»Nun sachte, Sergio. Wie kommst du darauf …?«
»Sein Knecht wartet im Cavallo Bianco .« Unhörbar war Marzia zu ihnen getreten. Sie schaute auf den Mann, der vor wenigen Minuten noch in ihrem Bett gelegen hatte, wie auf einen Fremden. Ihr Blick war so starr, als wäre sie selbst betrunken, was aber offensichtlich nicht der Fall war, denn sie sprach deutlich und vernünftig.
Das Wort Cavallo Bianco schien in Ferettis Kopf etwas in Bewegung gesetzt zu haben. Er löste sich von Rossi und begann, die Gasse hinabzuwanken.
Die Hure – so nannte man solche Frauen ja wohl – lächelte Rossi an. »Ja?«
»Ich bin wegen Mario hier.«
»Ja?«
»Sie haben in Buggiano einen Vagabunden gehängt, der ihn angeblich ermordet haben soll.«
»Ach.« Cecilia sah Marzias provokant vorgeschobene Hüfte.
»Einen Theriakverkäufer.«
»Na, das freut doch den ehrbaren Bürger.« »Wenn er wirklich der Mörder war.«
Marzia lehnte sich gegen den Türrahmen. Auf ihren Lippen lag ein spöttisches Lächeln, und die Tatsache, dass sie nicht antwortete, war eigentlich schon Antwort genug.
Cecilia beschloss, sich einzumischen. »Sie sind zu Marios Beerdigung gekommen, Marzia. Ich meine …«
»Scheißgefühlsduselei, ja. Hat mir einen Tritt in den Hintern eingebracht.«
»Aber …«
»Könnte mich selbst in den Hintern treten. Freiwillig in Francescas Krallen rennen. Mir ist kalt.« Sie machte trotzdem keine Anstalten, in ihr Zimmer zurückzukehren.
»Hatte Feretti etwas mit Marios Tod zu tun?«, fragte Rossi.
Wieder das spöttische Lächeln. Marzia wischte über ihr Gesicht. Weil ihr dem Lächeln zum Trotz die Tränen kamen? Das konnte man nicht erkennen.
»Hören Sie, Signorina … Giudice Rossi … Sie finden das alles hier widerlich, ist mir schon klar. Aber nun will ich mal was sagen. Mario hat mir’n ehrenwertes Leben geboten. Und das sollte so aussehen: Eine Hütte, in die es reinregnet, Kinder, die heulen, weil sie nicht satt werden, und Liebe, die wehtut, weil Knochen auf Knochen
Weitere Kostenlose Bücher