Glaesener Helga
liefern und zu kleben.
»Sie kehren jetzt sofort nach Montecatini zurück?«, erkundigte sich Redis Schwiegermutter, die Dina während des Kundengesprächs mit Apfelstückchen gefüttert hatte. »Nicht, dass es mich etwas anginge … Nur: Es ist Blutgerichtstag. Und … ja fürchterlich, auch wenn es sich um einen Mörder handelt, aber man hat ja ein Empfinden, und die Kleine … Ich jedenfalls habe meiner Tochter und meinen Schwiegertöchtern verboten, hinauszufahren.«
Ein farbenfrohes Fest vor dem Tor, mit Podest für die Gaukler … Was für ein Irrtum! Cecilia war noch niemals bei einer Hinrichtung gewesen, und sie hatte auch keine Absicht, das zu ändern. »Wir werden einen anderen Weg nehmen.«
Als sie wieder auf den Platz traten, war von Bruno weit und breit nichts zu sehen, obwohl die Rathausuhr mit einem blechernen Ma come balli bene schon vor geraumer Zeit die volle Stunde verkündet hatte. Cecilia ging mit Dina zu den Auslagen eines Hutwarengeschäfts – neben dem Tapetengeschäft der einzige Laden am Platz, der anderes als Brot und Gemüse anbot – und knetete die Finger. Der Wind blies durch die Gassen. Der Himmel hatte sich bewölkt. Wenn sie Pech hatten, würde es wieder zu regnen beginnen. Sie sehnte sich nach dem Sommer.
»Domizio ist einmal dabei gewesen, wie sie einen aufgehängt haben«, plapperte Dina. Ihr unglückseliger Freund hatte offenbar eine genaue Beschreibung des Vorfalls geliefert. Wie konnte man das Wort Gedärm aussprechen, ohne dass einem übel wurde?
»Es ist ein Mensch, der dort draußen sterben muss, mein Schatz, und das ist schrecklich. Dein Vater versucht, die Gesetze zu ändern, so dass Menschen nicht mehr die Todesstrafe erleiden müssen.«
»Mamma hat gesagt, mein Vater kämpft für vieles, aber nie für das, was wichtig ist.«
Endlich tauchte Signore Seccis Lando auf. Bruno wendete scharf und in einem Tempo, das überhaupt nicht zu seiner bedächtigen Art passte. »Einsteigen, Signorina … kleine Dame …«
Kaum, dass sie saßen, jagten sie die Straße herab, die sie vorher gemächlich hinaufgezuckelt waren.
»Hören Sie, Bruno, vor der Stadt soll ein Blutgericht …«
»Ich weiß.«
»Wir werden diesen Ort auf keinen Fall passieren.«
»Die Hinrichtung ist schon vorbei. Wenn Sie woanders hinschauen, wird es schon gehen. Tut mir leid, Signorina, aber ein Umweg würde Stunden beanspruchen, und das Wetter wird nicht besser.« Bruno beugte sich vor und feuerte die Pferde an. Ein Mann in einem karierten Mantel sprang ihnen aus dem Weg und drohte mit dem Spazierstock. Wasser spritzte aus einer Pfütze.
Cecilia beschloss, nachzugeben. Sie legte den Arm um Dina und zog das Mädchen an sich.
Als sie am Richtplatz vorbeikamen, musste Bruno die Pferde zügeln, denn das Gedränge reichte bis an den Straßenrand. Es wurden Nudeln mit scharf riechenden Würzsaucen verkauft. Kinder wirbelten zwischen den Röcken und Hosenbeinen der Erwachsenen, Hunde stießen bellend auf den Wagen zu und verloren sich wieder im Gewühl. Cecilia zog Dinas Gesicht in ihren Schoß, was dem Mädchen nicht gefiel, aber sie wollte verdammt sein, wenn sie zuließ, dass ein Kind in ihrer Obhut sich an einem baumelnden Leichnam ergötzte.
Sie selbst starrte ihn widerwillig an. Offenbar war das Podest für die besonders vornehme Zuschauerschaft aufgebaut worden. Der Galgen stand nur wenige Schritt daneben auf einer Anhöhe, so dass er weithin sichtbar war. Der Gerichtete war ein alter Mann. Er trug ein weißes, knöchellanges Armesünderhemd, das sich im Wind blähte, und Cecilia hatte den widersinnigen Wunsch, jemand möge ihm etwas Wärmeres hinaufreichen. Kleine Jungen, aber auch erwachsene Männer vergnügten sich damit, Steine auf den Erhängten zu werfen. Sein Gesicht war von den Treffern verwüstet.
Cecilia blickte auf Brunos Rücken und verwünschte sich und sämtliche Tapeten.
Eine knappe Stunde später erreichten sie den Markt von Montecatini. Bruno hielt gerade so viel auf Respekt, dass er ihnen aus dem Lando half und die Tür des Palazzo della Giustizia aufhielt. Dann stürmte er die Treppe hinauf zum Arbeitszimmer des Giudice und gleich darauf wieder herab. Er riss sämtliche Türen auf, und schließlich fand er Rossi im Teatro dei Risorti. »Sie haben den Theriakverkäufer gehängt«, brüllte er.
Rossi und sein Sbirro liehen sich Pferde. Sie kamen erst abends wieder aus Buggiano zurück, und der Richter war so wütend, wie Cecilia ihn noch nie gesehen hatte. »Ich würde ihn in Ruhe lassen«,
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