Glaesener Helga
Arthur, nur bisschen aus der Fassung.
Es pochte an der Haustür.
Nicht der Vogel, begriff sie plötzlich, das Klopfen hatte sie aufgeweckt. Es war real. Jemand stand vor ihrer Wohnung und wollte herein.
Irene, die in Rossis Haus zurückgeblieben war? Die Zofe besaß einen Schlüssel. Sie würde nicht pochen.
Langsam – der Kopf, der Kopf- erhob Cecilia sich.
Das Geräusch verstummte. Sie hörte Schritte, federleicht, gerade noch wahrnehmbar, die die Treppe hinabeilten. Hatte Dina sie besuchen wollen? Cecilia ärgerte sich über Rossi, der ihr mit seiner Bemerkung Angst eingejagt hatte. Da hatte man es nun. Ein einfaches Pochen versetzte ihr einen Todesschrecken. Aber es war niemand hinter ihr her. Wer auch immer Feretti entführt hatte … Sie selbst hatte er fortgelassen. Das war eine Tatsache. Ihr drohte keine Gefahr.
Schlag fester …
Cecilia horchte den Worten nach, die plötzlich in ihrem Kopf hallten. Schlag fester … Kam das aus ihrem Traum? Wovon hatte sie überhaupt geträumt? Sosehr sie sich bemühte, sie konnte sich nicht erinnern. Die Worte klangen nach Verdrossenheit und hinterließen auf ihrer Zunge einen schalen Geschmack. Schlag fester …
Mistdreck.
Vorsichtig, mit einem raschen Blick durch den Spalt, öffnete Cecilia die Tür – und fand eine Flasche Wein und, mit einer roten Kordel hübsch um den Flaschenhals gebunden, einen Brief. Sie öffnete den Verschluss und schnupperte. Kein billiger Wein aus der Schenke nebenan, dachte sie. Du hast dazugelernt, Inghiramo.
Dass das Präsent von ihm kam, war ihr klar. Sie erkannte die kunstvoll geschriebenen Buchstaben auf dem Kuvert und seufzte. Ihre Erleichterung stimmte sie milde, und sie öffnete den Brief.
Meine liebe Cecilia ,
ich sollte nicht schreiben , denn dass du mir grollst … wer könnte es dir verdenken? Du wendest dich ab , und du tust recht daran . Du schlägst mir den Handschuh der Verachtung ins Gesicht , und ich habe es verdient . Jeder Vorwurf ist tausendfach berechtigt . Wenn du mir vergäbest , spräche ich mich selber schuldig . Ich habe frevelhaft gehandelt . Ich habe die Liebe gekränkt , die einzige Göttin , der zu dienen ich mich freudig verpflichtete . Vergib mir nicht . Ich leide , und so soll es sein .
Und doch muss ich zur Feder greifen . Ich hörte , was geschah , und laufe durch mein Zimmer wie von Sinnen . Bist du wohlauf? Sie sagen , dir sei nichts geschehen , und ich weine vor Glück und bete , dass es wahr sei .
Dass du mich vergessen hast , dafür preise ich Gott . Mir selbst hat er die Gnade nicht gewährt . Neapel war die Hölle . Bei jedem Schritt wandte ich mich um und hofft , es sei Cecilia . Bei jedem Lachen , jedem leisen Wort … bei jedem Rascheln eines Rocks , bei jedem Flügelschlag des Fächers … und immer nur Cecilia .
Genug davon , das darf dich nicht bekümmern . Bald bin ich fort .
Auf ewig der Deine
Inghiramo
Heilige Agatha, dachte sie und faltete den Brief zusammen. Das mit dem Flügelschlag des Fächers würde er gewiss in einem Drama verwenden, wenn er es nicht sogar daraus entnommen hatte. Leider war das Kaminfeuer erloschen, also konnte sie den Brief nicht in die Flammen befördern.
Neapel war die Hölle, ja?, dachte sie, als sie in ihr Bett zurückkroch. Du hast ja keine Ahnung von der Hölle. Es ist die Hölle, zu sehen, wie der Bauch schwillt, und nichts dagegen tun zu können. Es ist die Hölle zu warten, bis jemand es bemerkt. Es ist die Hölle, geschnürt zu werden, bis kein Atemzug mehr ohne Schmerzen möglich ist. Die Hölle ist ein Abort, in dem man herauspresst, was … Sie hatte durch das runde Loch in der Porzellanbank geschaut. In dem Unrat, der sich in der Grube gesammelt hatte, lag etwas Weißes, mit rotem Blut verschmiert. Ganz still. Ihr totes Kind.
Cecilia starrte auf den Fettfleck, während Irene heimkam und es draußen langsam dunkel wurde.
11. Kapitel
A dolfo und Leo kamen, um die Zimmerdecke zu streichen, damit der Fettfleck verschwand. Sie packten aus und machten sich daran, das Bett abzudecken und eine Leiter aufzurichten. Adolfo erzählte, dass Rossi erneut in die Hütten der Fischer gekommen sei, um in die Mäuler der Hunde zu schauen. Dieses Mal, ohne sich anzukündigen.
»Er ist ein tüchtiger Mann«, meinte er nachsichtig. »Und natürlich ist es richtig, dass er sich wegen Signore Feretti Sorgen macht, denn ein Mensch ist ein Mensch, und kein Mensch hat es verdient, von Hunden zerrissen zu werden. Es scheint, Sie hatten sehr viel Glück, Signorina,
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