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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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du verstehst sicher, dass das jetzt noch nicht geht«, flüsterte ich gegen das kalte Fensterglas.
    Es tat unendlich gut, diese Lüge auszusprechen. Das Glas beschlug leicht an der Stelle, an der ihr helles Gesicht zu mir hinauf sah, und ich malte langsam mit ruhigen Fingern ein Kreuz darüber. Ich wandte mich um, atmete tief durch, als ich hörte, wie sie den Hof endlich verließen und der Wilde Wald sie verschlang. Der Winternebel verdichtete sich hinter ihnen, nahm sie mit, um sie in seiner Vergessenheit zu behalten. Vieles, das in den letzten Wochen nach meiner Abreise aus Schottland gen Norddeutschland geschehen war, musste ein Traum gewesen sein, denn die Welt kann unmöglich so grausam sein, oder? Doch ich fürchte, sie ist es, und nichts in meiner Geschichte ist erfunden oder beschönigt – entgegen meines zu Beginn angekündigten Vorhabens. Es entspräche beispielsweise einfach nicht der Wahrheit, dass ich mutig zuerst Blaubarts Schloss in Wales betrat. Nein, denn Kieran, der Mutige, der Starke, ging voran und ich folgte ihm wie ein kleiner Hund.
    Die Hohen Herren aus der Stadt mit ihrem ausgeprägten Voyeurismus würde ich seit jenem Abend meiden wie sauren Wein, hätte ich sie jemals wieder zu Gesicht bekommen. Sie erzählen vieles in ihren edlen Clubs und das Meiste, das Schauerlichste, ist leider wahr. Sie erzählen von der Zufriedenheit anstatt von Erleichterung in den Augen der Tochter, als die Mutter zu Tode gequält wurde. Von ihrer unschuldigen Grausamkeit, selbst das letzte Fünkchen Leben aus ihr herauszubrennen. Diese arme, arme gequälte Seele. Verzeihen Sie, ich muss kurz aufstoßen.
    Eirwyns völlig überzogene Handlung, die angeblichen Tötungsversuche der Lady, die resolute Abwesenheit des Grafen während des Todeskampfes seiner Frau, wird dieses Land nie vergessen können, noch wollen. Inzwischen erzählte man sich jedoch zu viele Schauergeschichten über die rotäugige Dame; dass sie der Familie der Sidhe entstammte, dass sie eine kreischende Banshee gewesen sei. Aber wer weiß schon, was davon stimmte. Ich jedenfalls nicht.
    Allerdings, dass die Lady bei ihrem Totentanz gelacht haben soll, ist wirklich nur ein Gerücht.

Epilog – oder wie Sie es nennen wollen: Meine ganz persönliche Dämmerung

    Glas um Glas hebe ich an meine Lippen. Seit Stunden schon. Unten brüllen sie herum wie die wilden Bären im Zoo der Stadt, wenn sie einen Pasch oder ein Full House bei ihren Hazardspielen legen. Aber leider brauche ich dringend Gesellschaft. Tagelöhner aus dem Dorf, falschspielende Halunken, die ich aus dem Pub kenne, und diebisches Pack sind meine neuen Unterhalter. Vielleicht sogar meine neue Familie, aber das ist mir gleich.
    Nur einmal erinnerte ich mich in den vergangenen Wochen in einem schwachen Moment an Sie .
    Sie hatte mich äußerst großzügig bedacht. Wenigstens eine Bleibe und Geld habe ich auf Lebenszeit. Kleine Schätze aus ihren zahlreichen kleinen Verstecken hinter Wänden, Regalen und Bildern … Ihren Schmuck konnte ich nicht veräußern; es hätte mir das Herz endgültig gebrochen, wäre das noch möglich gewesen. Ansonsten ist mein Hirn glücklicherweise leer, träge. Ich liege ausgestreckt auf einer Chaiselongue, die einmal irgendwo unten stand. Nun ist sie Teil der Gemächer meiner Herrin. Ich darf hier in ihrem gruseligen Raum mit all den halbleeren und ausgeschabten Tiegeln und Fläschchen liegen und ihr Geist besucht mich hin und wieder. Aber er verschwindet stets, wenn ich ihm den erhobenen Mittelfinger entgegenhalte.
    Niemand ist mir mehr wichtig, für mich sind sie alle tot. Dennoch, so hatte mir der flaumartige Schnee seinerzeit doch die ersehnte, reinigende Verheißung gebracht. Ich hatte sie nur nicht richtig gedeutet. Er offenbarte mir in seiner grausamen Schmucklosigkeit die tiefe Finsternis in den Menschen. Ob offensichtlich oder in einer Ecke verkrochen, sie ist in jedem von uns und ich habe auch die meine längst gefunden. Doch was ist gefährlicher: Die dauernde Anwesenheit der Finsternis in einem Objekt, welche man sogleich erkennt und meiden kann, oder diejenige, die weit unter der Oberfläche wabert und sich nur in extremen Situationen zeigt? Ich habe es noch nicht herausgefunden, aber ich habe ja Zeit. Viel Zeit. Sie spielt seit Wochen keine Rolle mehr für mich. Oder seit Monaten? Jahren? Ich weiß nur, es sind längst keine Tage mehr. Ich werde zu einem Nachtschattengewächs. Meine Herrin ist das Echo in den Räumen. Meine einstigen Freunde

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