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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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die Öllampen an den Kutschen. Es war kühl geworden und ich musste Giniver wärmen, die zitterte wie Espenlaub.
    Atemwölkchen der schnaubenden Pferde zogen wie Geisterfinger an unserem Fenster vorbei. Einstimmig beschlossen wir die Rast, erneut unter freiem Himmel, und ich schickte ein Stoßgebet los, dass der steinharte Boden hier ebenso wenig gefroren war wie in unserer Heimat.
    Ich gebe zu, langsam fand ich Gefallen an dieser wilden Freiheit; aber auch, dass sie ein absehbares Ende haben sollte. Angesichts des tiefdunklen Nachthimmels und der damit einhergehenden Losgelöstheit empfand ich beinahe kurzfristige Dankbarkeit meiner Lady gegenüber, dass sie uns auf diese Reise geschickt hatte.
    Der Lord blickte ungerührt mit leerem Blick in die stockfinstere Welt dort draußen. In meinem Kopf spukte ein Gedicht des deutschen Poeten Morgenstern herum; einer der Wenigen, die ich Giniver meist sogar recht annehmbar in deutscher Sprache vorlas. Da ich beinahe erwartete, einen grausig gutzenden Golz zu entdecken, wie er einst schrieb, kam mir ein Versfragment aus den Galgenliedern in den Sinn …

    Der Zwölf-Elf hebt die linke Hand:
da schlägt es Mitternacht im Land.
Es lauscht der Teich mit offnem Mund,
ganz leise heult der Schluchtenhund.
Das Irrlicht selbst macht Halt und Rast,
auf einem windgebrochnen Ast.
Die Galgenbrüder wehn im Wind,
im fernen Dorfe schreit ein Kind.
Hingegen tief im finstern Wald,
ein Nachtmahr seine Fäuste ballt.
Der Rabe Ralf ruft schaurig: Kra!
Das End ist nah! Das End ist da!
Der Zwölf-Elf senkt die linke Hand:
und wieder schläft das ganze Land.
    Ich schmunzelte in mich hinein. Die Kutscher nahmen zwei der Laternen von der Kutsche ab, indem sie diese aus ihren Verankerungen drehten. Als das Licht hinter dem grellgrünen Glas der Laternen aufflackerte und die Kutscher die Gefährte samt Gäule an einer riesigen, wie tot wirkenden Wurzel angebunden hatten, zogen wir alle unsere Mäntel fest um uns und schlugen einen schmalen Pfad abseits des breiteren Weges ein – wo wir sogleich auf einen weit entfernten Feuerschein in der Dämmerung stießen.
    Wir stoppten in angemessener Entfernung, und ich nahm Giniver an der Hand, um ihr zu zeigen, dass sie hier mit den Kutschern auf mich warten sollte, da ich mich mit Lord Sandford kurz umsehen wollte.
    Plötzlich wand sich ihre Hand aus meiner, sie ging einige Schritte ins Gebüsch und stand nun mit weit in den Nacken gelegtem Kopf da. Ich schloss zu ihr auf und folgte ihrem Blick. Hoch oben im Blattwerk hing ein Spiegel. In einem sonderbaren Winkel, so dass der Schein unserer Laternen wie koboldgrüne Irrlichter in ihm um den gelblichen Feuerschein tanzten. Verwirrt kniff ich die Augen zusammen und konnte so erkennen, dass er in einen dicken Rahmen eingefasst war, dessen schwarze Schnörkel wie Ginivers Lackkleid unter dem Mantel glänzten. Knorrige Äste schienen mit dem Rahmen verwachsen, hielten ihn auf diese Weise dort oben fest. Inständig hoffte ich, dass er nicht so schwer war, wie er vom Boden aus wirkte, und vorerst dort oben blieb. Vor allem fragte ich mich, ob er ein Fenster war und wir unbeobachtet waren.
    Giniver ließ sich brav von mir zu den Kutschen zurückführen. Wir beschlossen über unseren Fund zuerst einmal Stillschweigen zu bewahren, obwohl mich ein erneuter Angstausbruch des Lords durchaus erheitert hätte.
    Ich bedeutete Lord Sandy, bei Giniver und den Kutschern zu warten, und schlich geräuschlos an die einige Fuß entfernte Feuerstelle heran, konnte jedoch niemanden dort im Schein erkennen, weder Mensch noch Tier noch … irgendetwas.
    Verrückt, wie einen die deutschen Märchenwälder zu Phantastereien verleiten. Ich wagte kaum, zu atmen. Hinter mir knackte ein Ast … und noch einer … und so weiter.
    Ich blieb stehen, schloss die Augen. Dann stieg mir ein herber, beinahe beißender Geruch nach Fell und Haut in die Nase. Natürlich folgte mir der dämliche Lord und trat auch auf jeden der Äste, um die ich erfolgreich herumgeschlichen war. Ich wandte mich schwungvoll zu ihm um, jedoch mein hektisch gefauchtes »Schschschtt!« kam leider etwas spät. Sandy hielt in seiner Bewegung inne, wie eine Statue, und ein Unsichtbarer lachte uns unverhohlen spöttisch aus dem Dunkel heraus aus. Zwischen den tief herabhängenden Ästen schritt ein Schemen mit geschmeidigen Bewegungen lässig auf uns zu. Ich strengte meine Augen noch etwas mehr an, durchdrang das vermaledeite Zwielicht jedoch nicht wirklich.
    »Bei

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