GLÄSERN (German Edition)
haben, den sie des Nachts unverhohlen zeigten. Als wäre der Wald schizophren, kam mir in den Sinn.
Ich lächelte nervös. Wie viel durften wir überhaupt preisgeben? Über mir glaubte ich das Krächzen eines Raben zu hören. Auch Giniver hob den Kopf. Wie eine schwache Warnung, oder eher eine Erinnerung, dass … Lord Sandy nahm mir plötzlich diese Entscheidung ab.
»Unser Anliegen gilt der Grafentochter. Ihr Vater stirbt und Lady Amaranth verlangt ihre Anwesenheit«, platzte er heraus.
Kieran senkte das Kinn, wie ein Panther aus einem der Naturwissenschaftsbücher aus der Bibliothek kurz vor dem Sprung. »Nur die Grafentochter kann ihres Vaters Gesundheit wiederherstellen«, sagte der Lord bestimmt.
Kierans Blick blieb starr mit dem des Lords verhakt. Er war schon immer vorsichtig bei Fremden gewesen, und so auch diesmal, als der Name der Gattin des Grafen Hektor fiel. Gedankenverloren strich er mit den Fingerkuppen über die lange, kräftige Klinge eines kleineren Jagdmessers. Seit ich ihn kannte, schien es, er hütete ein Geheimnis. Und auch nun erschien er mir mehr wie eine Schattengestalt denn ein simpler Jägersmann. Seine überstürzte Flucht kam mir wieder in den Sinn. Er lehnte sich Sandy entgegen, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Ich nutzte diese stimmungsvolle Pause, um Ginivers Kleidung zu richten. Sie war durch den Marsch durch seltsames Gehölz doch etwas zerknittert.
»Ich glaube, ich muss Ihnen etwas erklären, mein bepelzter Freund«, flüsterte Kieran dem Lord mit leiser Stimme zu. Wie ein Mann rückte die Reisegesellschaft näher an das Feuer heran – außer Giniver natürlich, denn die ist logischerweise eine Frau. Wir spitzten die Ohren, um ihn besser verstehen zu können.
»Inzwischen wissen Sie, dass ich schon vor langen Jahren als Nachfolger meines Vaters in die Dienste des Grafen von Waldeck trat. Davor wuchs ich wie sein eigenes Kind in seinem Herrenhaus in Schottland auf. Ich hütete schon mit meinem Vater den Wilden Wald, als ich noch ein Knabe war, und wuchs zusammen mit Eirwyn heran.«
Gespannt wartete ich, bis er auch das erzählen würde, was er niemals offen gestanden hatte – niemandem gegenüber. Dass sie mit jedem Jahr schöner und schöner wurde, und er sich bald in sie verliebte. Natürlich konnte er den Edelmännern und Hochgeborenen, die um sie warben, nicht das Wasser reichen. Und so wurde er Eirwyns stiller Freund, der auf sie achtgab. Es muss ihm das Herz zerrissen haben … So assoziiere ich jedenfalls, denn Liebesdinge waren noch nie meine Dinge.
»Sie war niemals gut genug für ihre Mutter. Nie hat sie etwas richtig gemacht oder wenigstens zu ihrer Zufriedenheit. Und dann, eines Tages, lief sie eben fort.« Er machte eine Handbewegung, als wollte er etwas fortwerfen. »Kein Wunder, wenn Sie mich fragen, denn Ihre Lady, die gnädige Gräfin Amaranth, ist so mitfühlend wie eine Bodenkartoffel, aber das muss ich Ihnen ja sicher nicht näher darlegen, mein Freund«, sagte er bitter.
Sandys wütender Blick bohrte sich in ihn, als er sich abwandte, um eine unserer Weinflaschen zu köpfen. Wir hatten sie in einer der Kisten in der Gepäckkutsche gefunden.
Kieran nahm einen tiefen Schluck und blickte Sandy herausfordernd an. »Oha, anscheinend muss ich doch«, meinte er lässig. Mit der fortschreitenden Nacht und dem Fluss des allzu starken Weines schien er seine Vorsicht mehr und mehr fallen zu lassen. Er trank noch immer gern, und die abendliche Wein- und Biergesellschaft liebte er ebenso sehr wie ich. Dennoch warf ich ihm einen warnenden Blick zu, den er belustigt parodierte und seelenruhig fortfuhr: »Wissen Sie, Lord Sandford, ich wollte damals etwas, und es brach mir das Herz jedes Mal ein wenig mehr, als man mir zu verstehen gab, dass es für mich … wie nannte sie es … außerhalb meiner Reichweite lag«, sagte er mit rauer Stimme.
»Eine unlösbare Aufgabe«, meinte der Lord plötzlich leise.
Wir alle sahen ihn überrascht an. Auch Kieran, bis er sich wieder fasste und beinahe abfällig lachte. Ich verstand kein Wort mehr, obwohl ich wenig von dem starken, widerlich süßen Wein getrunken hatte.
»Genau, mein Freund. Eine ebensolche«, sagte der Jäger bitter. »Wissen Sie, zerrissen hat mich schließlich ein Wunsch der Lady. Sie kennen sicher diese Geschichten über sie? Die Sache mit dem ach so entzückenden Frühlingstag vor beinahe siebzehn Jahren, an dem sie sich endlich erholte von ihrer schweren Geburt, allerdings schöner und frischer als je
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