GLÄSERN (German Edition)
selbst ausgedacht?«, spöttelte Kieran. »Nein …?« Ich zog beleidigt den Kopf zwischen die Schultern. Ich hatte keine Lust mehr, mich zu streiten. Vor allem war mir bitterkalt.
»Würdest du uns bitte einen Platz an deinem Feuer gewähren, alter … was auch immer …?«
»Busenfreund? Aber gern doch«, lachte Kieran und deutete mit dem Arm hinter sich. Zugleich brach sich das Mondlicht mehrfach in den Messern, die alle in verschiedenen Größen und Formen an seinen Gürtel geknotet waren.
»Wir haben noch Giniver dabei. Und zwei Kutscher. Im Gegenzug bieten wir dir an, unseren Proviant und den Wein mit dir zu teilen.«
Für alle Fälle wären wir ihm zumindest zahlenmäßig überlegen, was mich jedoch wenig beruhigte.
»Das wäre wohl das Mindeste.« Er nickte knapp. »Hätte ich auch nicht angenommen, dass du mit deinem Wolfsmann allein unterwegs bist. Und dann noch zu Fuß. Wie unschicklich.«
Kieran zwinkerte mir nicht nur gespielt neckisch zu, sondern musterte offensichtlich Sandys massige Statur. Es gefiel mir, dass er es für nötig befand, seinen Standpunkt abzuschätzen. Kieran war kein kleiner Mann und verfügte über ein breites Kreuz und einen starken, sehnigen Körper. Dennoch würde er in einem Zwist mit dem Berserker Sandford zweifellos unterliegen. Mir gefiel dieser Gedanke. Immerhin war er damals nicht gerade mit einem Abschiedskuss meiner Herrin und einem Strauß blühender Feldblumen im Arm aufgebrochen.
Obwohl wir uns meist wunderbar verstanden hatten. Als Sohn des Jägers vom Wilden Wald nahm er mich oft mit sich und unterwies mich im Schießen und Anpirschen. Beides beherrschte ich damals meisterhaft. Später, als er die Verantwortung seines Vaters übernahm, blieb ich oftmals lieber mit den Damen am Feuer zurück, während er sich durch die modrigen Baumriesen schlug. Eines Tages verschwand er dann plötzlich. Kurz zuvor war Eirwyn nach einem Streit mit ihrer Mutter aus dem Haus ihrer Eltern geflohen. Ich spann viele Theorien, keine davon erwies sich allerdings je als wahr. Und nun waren wir hier auf fremdem Boden; gemeinsam und mit einer Spannung, die zwar kaum wahrnehmbar war, jedoch zu ungewohnter Vorsicht riet. Keine Anschuldigungen, keine Beschimpfungen … und doch war die Stimmung brüchig wie dünnes Glas.
Der Jäger zog endlich das Tuch von seinem Gesicht fort und gewährte uns einen Blick auf sein – ich muss schon sagen – elfenhaftes Antlitz. Hohe Wangenknochen und eine gerade Nase waren eigentlich nicht männlich genug, um einem Mann des Waldes zu gehören, doch mein Blick fing alles auf, um kurz an der Narbe hängen zu bleiben, die hell durch seinen linken Mundwinkel schnitt. Sie war gut verheilt, aber ich fragte mich, wer es geschafft hatte, sich ihm so zu nähern, um ihm überhaupt etwas zuzufügen. Die Kapuze behielt er auf.
Kieran wartete geduldig, bis wir Giniver und die Kutscher geholt hatten, und führte uns durch dichtes Gehölz zu seiner kleinen Feuerstelle, um mit uns das klägliche Abendessen und hoffentlich auch einen halbwegs gemütlichen Schlafplatz zu teilen. Und den Tabak. Nach gewisser Zeit freute es mich sogar irgendwie, ihn wiederzusehen. Ein vertrautes Gesicht in diesem fremden, weiten Land. Dennoch interessierte es mich noch immer, was er hier zu suchen hatte, auch wenn des Pudels Kern – wie man seit einiger Zeit recht neumodisch in England sagte – wohl auf der Hand lag. Er streifte seinen Gürtel ab und lehnte ihn an einen Eichenstamm dicht neben sich. Kieran zögerte lange, bis er ihn ganz losließ, den Blick starr auf Sandys Brust gerichtet. Schließlich begann er, seine Stiefel mit etwas Moos abzureiben und sagte: »Ich bin auf dem Weg gen Norden. Dort mache ich eine Visite. Aber was erzähle ich dir das, Van Sade, du ahntest das doch sicher längst.«
Eine Visite? Tat ich nicht. Dennoch hob ich das Kinn, so arrogant ich konnte. Immerhin war ich Valet der erhabensten Dame Schottlands.
»Ich bin neugierig … Was wollt ihr alle denn in diesem düsteren Land, mehr als hundert Fuß von der eigenen Haustür entfernt? Ihr folgt mir doch nicht etwa?«
Er zwinkerte.
Seltsam, dass ein Schotte wie er Deutschland als düster bezeichnete. Nun gut, der Wald hatte sich in kürzester Zeit – zusammen mit dem Verschwinden der letzten Sonnenstrahlen – regelrecht verwandelt und wie ein oberflächlich netter Nachbar sein Gesicht des Psychopathen zum Vorschein gebracht. Wie jeder Mensch, so schienen auch alle Wälder einen dunklen Fleck im Herzen zu
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