GLÄSERN (German Edition)
zuvor. Wenn Ihr mich fragt, war da Zauberei im Spiel«, meinte er in halbem Ernst.
Sandy warf mir einen kühlen Blick zu, der mir wohl seinen Missmut zeigen sollte, wie hier in seiner Gegenwart über die Lady gesprochen wurde. Ich entschied mich dazu, mich erst einmal nicht einzumischen.
»Jeder konnte sehen, wie sehr Graf Hektor ihr erneut verfiel, als wär’ er ein verliebter Tölpel! Und wie sehr die kleine Eirwyn ihrer beider Stolz war. Die zarte Lilie, die endlich das Glück vervollständigen sollte.« Er nahm noch einen tiefen Schluck, kramte eine silberne Dose hervor und begann, sich einige Kräuter daraus zusammen zu suchen.
»Doch Eirwyn mochte die Gräfin nicht, mein Freund«, erzählte er weiter, ohne sich seinem Zuhörer noch weiter zu widmen, als erzähle er die Geschichte sich selbst im dunklen Wald. »Sie sah nie eine liebende Mutter in ihr, von Anfang an nicht, sondern eine Wärterin, die sie in Ketten legte; im übertragenen Sinn natürlich. Niemals sah ich die Herrin ihr Kind herzen, in die Arme nehmen oder mit ihm spielen. Das Mädchen war immer nur … wie nennt man das noch, Fred? … Ah ja, ein Accessoire. Ein Schmuckstück für ihre Ladyschaft. Eirwyn beschwerte sich irgendwann bei ihrem Vater, dass ihre Mutter sich nicht um sie kümmerte, sie manchmal sogar stundenlang einschloss, wenn sie sich wieder einmal stritten.«
Es wäre für den Jäger wohl spätestens jetzt klüger gewesen, zu schweigen, fand ich. Stattdessen rollte er die Kräuter in dünnes Papier, steckte es sich zwischen die Lippen und entzündete es mit einem Stück glühenden Holzes. Ich gierte nach einem Zug, während er seinen Kopf weit nach hinten an einen Baumstamm lehnte und genüsslich den süßen Rauch aus den Nasenlöchern wie weiße Motten gen Nachthimmel schickte.
»Hektor war bald wütend über die Streitereien der beiden. Ich glaube, Mutter und Tochter haben nie ein freundliches Wort miteinander gewechselt. Und zudem wuchs Eirwyn auch noch zu einer Schönheit heran, die ihr Vater stolz den Gecken auf Bällen und Veranstaltungen anpries. Die Amaranth war neidisch auf ihre Perfektion, die blutjungen Damen eben zu eigen ist. Und genau das war es, was sie damals geboren hatte und selbst nie wieder würde besitzen können: die einmalige Perfektion der Jugend.«
Sandys dicke Finger rangen in seinem Schoß miteinander. Ich hingegen war gebannt von seiner Version der Geschehnisse, da mir, was nur natürlich ist, ohnehin niemand sehr viel über Familienintrigen und dergleichen erzählte.
»Die Lady sah in Eirwyn mehr und mehr eine Konkurrentin als eine Tochter, und das spürte Eirwyn von dem Moment an, an dem die Lady massiver ihr Leben beherrschen wollte als je zuvor.« Sein Kopf fiel wieder nach vorn und er fixierte Sandy mit seinen eisblauen Augen. »Sie vergaß die Jahre, die sie selbst makellos war, und ich meine das ohne Spott und Hohn, mein leichtgläubiger Freund. Einst war auch sie perfekt. Sehr ansprechend, wenn man auf so was wie eisige und hysterische Schönheiten steht – Sie verstehen. Doch sie gönnte es ihrer einzigen Tochter nicht!«
Vielleicht reizte er den Lord absichtlich mit diesen vermaledeiten Interpretationen über dessen Auftraggeberin, denn dessen Augen waren mittlerweile nur mehr zornige Schlitze. Alle schwiegen, jedoch schien Kieran diese wabernde Feindseligkeit zu ignorieren. Auch mir war es zuwider, solche Bezeichnungen über meine Lady zu hören. Doch beschloss ich, aufmerksam zuzuhören, um ihr später genau zu berichten.
»Irgendwann merkte ich, dass Lady Amaranth sich Unmengen von teurem Honig und Milch und Öle aus den entlegensten Winkeln der Welt beschaffen ließ und bestimmte Kräuter allein des Nachts sammelte. Nach einer Zeit beobachtete ich die Schlächter, wie sie neuerdings das Blut ausnahmslos von den weiblichen Tieren auffingen, welches nach Sonnenuntergang ebenfalls in die privaten Gemächer der Lady geschafft wurde.«
»Was hat sie denn deiner Meinung nach damit gemacht?«, wollte ich wissen.
Kieran zeigte mit seinem Finger nun direkt auf mich. »Pass auf, Van Sade. Ich unterhielt mich mit einer Frau aus dem Dorf, die Salben und dergleichen herstellte. Sie unterrichtete mich, dass man Solcherlei dazu verwendet, um gegen den körperlichen Verfall und die Auswirkungen einer schweren Schwangerschaft anzukämpfen. Angeblich sollen sie alle Anzeichen von Makeln beseitigen. Ich hielt es erst für weibischen Aberglauben. Von da an aber beobachtete ich die Lady noch
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