GLÄSERN (German Edition)
vorangeht. Jeder von uns verbliebenen Dreien befand sich weit jenseits der bekannten Realität, wurde, ob er wollte oder nicht, von tückischen Armen in eine Zone der Einsamkeit arretiert.
Als ich nach unbestimmter Zeit erwachte, saßen wir in der Kutsche und Eirwyn sah mich an, wie jemanden, den sie gerade zum ersten Mal wirklich erkennt. Einen Moment starrte sie mich noch ungläubig an und ich starrte ungläubig, ob ihres ungläubigen Blickes, zurück. Kieran blickte ungerührt zu mir herüber. »Ich habe mir die Freiheit genommen, zu erwähnen, dass unser Lieblingsdiener hier es war, der dem Irren in seiner gepflegten Raserei den Garaus machte.« Er grinste mir freudlos ins Gesicht.
Erbost über diese Äußerung funkelte ich ihn böse an. Offensichtlich war wieder getratscht worden und wer wusste schon, wie viel davon und wie wahrheitsgetreu er unser Erlebnis wiedergegeben hatte. Vor allem hatte ich Eirwyn einen Schrecken ersparen wollen und hoffte nun inständig, Kieran hatte sich ebenso rücksichtsvoll verhalten.
»Wie gewohnt, war das wieder mal äußerst geschmacklos von dir, Kieran! Ich habe viel dafür geopfert, vieles, was mir stets eine Maxime gewesen ist. Und das weißt du auch. Ich habe Grenzen übertreten, die …«, ich schluckte. Konnte das Leben noch deprimierender sein? Hat man nicht irgendwann einmal verdient, einfach nur sein Leben zu leben? Ohne, dass es einen in den Arsch tritt?
»Ja!« Er grinste mich weiterhin an. »Anscheinend hat es deine nette Ausdrucksweise aber überlebt.«
»Wie kannst du! Du warst doch auch dabei dort unten! Hast du nicht auch schon genug Leid erlebt? Wie kann man nur so kaltherzig sein!«
Ich beschloss, mich bis zu unserer Ankunft im Manor nicht mehr mit ihm zu beschäftigen und stattdessen aus dem Fenster zu blicken.
»Was weißt du schon von Leid, Van Sade«, murmelte er, doch ich reagierte nicht.
Dann nahm Eirwyn plötzlich meine kalten Hände in ihre behandschuhten. »Sieh, Frederick, manchmal kann nur pure Gewalt ein hartnäckiges Problem ausmerzen. Ich bin sehr stolz auf die Stärke, die du bewiesen hast, und auf die Rache, die du dir genommen hast für Ginivers Tod. Unser aller Rache.«
Ob ich zu dem Zeitpunkt selbst daran glaubte, weiß ich nicht mehr genau. Jedoch, wie es heute um mich steht, wenn ich daran denke, ist mir jeden Tag schmerzlich bewusst. Ich für meinen Teil hatte von dieser Stunde an, in der Sandford sein Leben aushauchte, eine wahnsinnige Angst vor mir selbst. Die Grafentochter saß starr in den schaukelnden Polstern, sodass es schien, man teile die Kabine mit einer jener lebensgroßen, jedoch unechten Figuren aus Sandfords Gruft. Ich bemerkte, dass sie mich von nun an anders sehen würde; dass ich die langjährige traditionelle Bindung zwischen uns neu geknüpft hatte, sie auch in mir einen erschütterten, unsichereren Teil ihres Lebens sah. Wir alle würden uns nun mit anderen, fremden Augen sehen. Lange sprachen wir nicht miteinander, bis wir abermals Rast hielten.
Das ›Cunning Folk‹ direkt an der walisischen Grenze war bis unter das Dach ausgelastet und gemeinsam teilten wir uns alle ein Zimmer, wobei wir die Kutscher sogleich in die hinterste Ecke verbannten. In der Nacht schmiegte sich Eirwyn zwischen Kierans und meinen Körper. Zugegebenermaßen hatte ich ein paar amouröse Gedanken – oder eher weniger amouröse – doch ich schämte mich ihrer sogleich, angesichts unserer heiklen und fragilen Situation. Dennoch genoss ich Eirwyns süßen Duft ebenso wie den würzigen warmen Geruch des Jägers. Langsam langte ich über Eirwyn hinweg und ließ meine Finger zärtlich über Kierans Schläfe bis zu seinem Schlüsselbein wandern. Er schlief zwar fest, stöhnte jedoch leise auf und ich zog mich schnell zurück. Bevor der Schlaf auch mich übermannte, hatte ich das Gefühl, meine Seele nach der Tötung des Brautmörders bereichert und somit gestärkt zu haben. In Zukunft würde ich vielleicht ein klein bisschen weniger angstvoll leben und dem neuen, stärkeren Frederick in mir Platz machen.
Am folgenden Morgen erwachten Kieran und ich beinahe gleichzeitig und starrten uns über Eirwyns runden Rücken hinweg aus wachen Augen an. Er gab mir mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass ich mit ihm kommen sollte. So verließen wir das warme Bett und setzten uns auf die wackeligen Polsterstühle am Fenster. Ohne Umschweife oder einen Morgengruß eröffnete er mir sein Anliegen: »Ich fürchte, Eirwyn braucht nun weit mehr Beistand als
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