GLÄSERN (German Edition)
Oberkörper, fand sie nichts. Irritiert sah sie nun mich an, hob mehrmals meine bespritzten Hosenträger an, um mein besudeltes Hemd nach oben zu schieben.
»Aber wie ist das möglich? Und wo ist Sandford?« Sie deutete auf Kierans offensichtlich nicht allzu leichte Last. »Ihr habt ihn doch wohl nicht beraubt«, flüsterte sie verwirrt.
Ich nahm ihre Hände in die meinen, als Kieran den Teppich mit Ginivers Leiche in die Kutsche bettete. Dann umfasste ich beruhigend ihr Gesicht. »Keine Sorge, es ist nicht unser Blut, Eirwyn. Und der Lord ist tot. Er hat mich und Kieran angegriffen und wollte, nun er …«
Und dann erzählte ich ihr in einer frauengerechten Version, was sich unterhalb des Schlosses in dem Kellergewölbe abgespielt hatte. Die präparierten Bräute umging ich dabei, aus Rücksicht auf ihre Nerven, und machte sie schlicht zu unangetasteten Toten.
Eirwyn sah mich mit großen Augen an. »Und er wollte auch Giniver dort begraben?«, fragte sie mit leiser Stimme.
Nun, von begraben konnte keine Rede sein, daher zuckte ich die Schultern. »Wir wissen es nicht«, log ich, ohne ihr in die Augen blicken zu können.
»Aber wo ist sie dann?«
Ich nickte in Richtung der Kutsche, wo sie Ginivers baren Fuß aus der Decke ragen sah. Aus irgendeinem Grund gedachte ich der Worte Sandfords, nicht jedes Wort meiner Freunde für bare Münze zu nehmen, und an das seltsame Ritual im letzten Mondlicht, als Kieran den Kampf gegen den Tod verloren hatte. Ich blinzelte einige Male gegen die irritierenden Gedanken an, die in meinem Kopf aufblühten, wie morbide Winterrosen, als Eirwyn auf die Kutsche zulief. Kieran nahm sie in die Arme und sie sahen beide auf meine tote Freundin hinab.
Ein Leben für ein anderes. Jeder Zauber kommt mit einem Preis. Und nun ist es an dir, zu bezahlen.
Die Mondgöttin hatte noch nie etwas ohne Pfand getan. Ich näherte mich ihnen langsam. Eirwyn streichelte mit tränennassen Augen, die ich als echte Trauer akzeptierte, Ginivers Gesicht, drückte sacht ihre Arme. Bläuliche Flecken blieben auf der fahlen Haut zurück. In dem Versuch, Trost zu spenden, streichelte ich ihr Haar. Doch plötzlich stutze ich. Erst jetzt im Tageslicht erkannte ich einen kleinen Schnitt in dem Stoff über Ginivers Busen. Auch Eirwyn hatte ihn bemerkt und wir zogen die Bluse behutsam beiseite. Rote Wundränder umgaben einen Stich wie von einem Dolch. Er war tief, wahrscheinlich direkt bis zu ihrem Herzen. Kieran fuhr mit den Fingern sachte darüber.
»Eine Einstichstelle. Und sie ist gezackt«, stellte er fest.
»Und was sollte uns das jetzt sagen?«, fragte ich eher mich selbst.
Kieran runzelte ungeduldig die Stirn. »Dass der Mordgegenstand sicherlich kein Messer gewesen sein kann?«
Seine Überheblichkeit ging mir schon wieder auf die Nerven. Doch ehe ich ihn unterbrechen konnte, philosophierte er weiter. »Gleicht eher etwas wie einer Scherbe oder … etwas in der Art.«
Noch ehe er die Schnittstelle weiter untersuchen konnte, drängte ich mich dazwischen. Es überlief mich eiskalt, als ich genauer hinsah. »Ja, oder wie ein Stück von einem Spiegel …«
Alle sahen mich überrascht an, als hätte ich meinen Verstand noch immer nicht wiedergefunden. Scheinbar waren sie diesmal schwerer von Begriff als ich, denn ich wusste nun, womit meine Giniver umgebracht worden war. Völlig kraftlos sank ich nieder. Mit jedem Gedanken, den ich dachte, umschlang mich mein Trauma mehr. Hätte ich den Spiegel nicht mitgenommen, wäre sie zwar sicherlich trotzdem nicht mehr am Leben, denn eine andere Möglichkeit hätte Lord Sandys kranker Geist doch gefunden. Dennoch, zumindest hätte ich wenigstens keinen Teil dazu beigetragen. Unfreiwillig oder nicht – welche Rolle spielte das nun schon. Ich schloss zitternd die Augen und sah erneut, wie mein mannshoher Spiegel vor den zur Abfahrt bereiten Kutschen auf Gut Waldeck unter den tumben Fingern der Servants zu Bruch ging, wie Lord Sandy sich erbot, ihn erst einmal beiseite zu stellen … wie er mit einiger Verspätung zurückkehrte und uns eines seiner Gepäckstücke unter unsere Füße warf. War Giniver zuvor vielleicht noch am Leben gewesen? Hatten wir nicht gut genug gesucht? Klopfen und Poltern am Morgen, der flüchtige Gedanke an einen Spuk … Eirwyns vom Weinen fleckiges Gesicht und Kierans fragend erhobene Brauen waren das Letzte gewesen, was ich sah, ehe ich gnadenvoll in ein dumpfes Nichts glitt.
Wir alle hatten mit jener Ohnmacht zu kämpfen, die dem Trauma
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