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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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ihr Vater. In diesem Zustand sollte nicht sie diejenige sein, die ihren Trost spendet, finde ich. Ich bin dafür, dass wir sie zurückbringen auf das Gut. Dahin, wo sie sicher ist.« Er sah mich nicht an, während er diesen absolut unmöglichen Vorschlag machte.
    »Du denkst also, sie wird einfach kapitulieren und umkehren … dann kennst du sie aber nicht besonders gut, mein Alter.«
    »Sie ist traumatisiert. Und ich befürchte, damit ist sie nicht die Einzige hier.«
    Er sah mich eindringlich an.
    Ich rutschte näher, damit die Grafentochter meine folgenden Worte keinesfalls hören konnte und er wich leicht zurück. Es kränkte mich, irgendwo tief in mir, wo so schnell kein Licht mehr scheinen würde. Dennoch rückte ich nach.
    »Wie würde es in dir aussehen, wenn du mehrmals in recht kurzer Zeit Opfer von Tötungsversuchen gewesen wärst? Wenn du dem Wahn anheimgefallen wärst, deiner eigenen Mutter nicht mehr vertrauen zu können? Wenn du vergiftet, erdrosselt, lebendig begraben und von Tieren angefressen worden wärst? Glaubst du allen Ernstes, diese Frau hier kann noch etwas erschüttern? Nach all den Torturen, die sie ertragen musste? Meine Güte!« Zur Bekräftigung tippte ich ihm mit dem Finger einige Male vor die Brust. »Und jetzt steh ihr gefälligst bei, solange du kannst. Ich habe diese Möglichkeit nicht mehr, falls du es vergessen hast. Ich bin allein! Sieh doch, wie sie mich nun ansieht – wie einen Wahnsinnigen! Vielleicht bin ich das auch, Kieran, denn ich habe das Wertvollste verloren und kann nun nichts mehr riskieren!« Außer der Gunst meiner Herrin und mein Heim. Meine Existenz und mein Ansehen, wenn auch nur geringes. Aber hey, … »Und hör auf, an ihr zu zweifeln«, flüsterte ich so heftig, dass etwas von meinem Speichel auf seinem Hemd landete.
    Er sah mich lange schweigend an. »Richtig«, sagte er nachdenklich, und Eirwyn regte sich leicht in ihren Laken. »Völlig richtig«, wiederholte er. »Es wird Zeit, dass wir den nächsten Schritt machen. Ich will nicht, dass sie mich wieder verlässt, Van Sade. Und schon gar nicht, nur weil sie sich von mir wie ein gebrechliches Weib behandelt fühlt. Aber ich fürchte mich eben davor, dass ihr etwas zustößt. Dann bin auch ich allein, alter Freund. Und das will ich auf keinen Fall.«
    Ich nickte. Sein Vertrauen und die Schwäche, die er vor mir zeigte, stimmten mich innerlich weinerlich. Doch Weinerlichkeit und Empathie sollten bald nicht mehr zu meinen einst ärgerlichen Eigenschaften gehören. Ein Stückchen der Angst der letzten Tage floh aus meinem Herzen. Dieser Mann würde bei ihr sein und sie schützen, solange er konnte. Und das war mir ein Anliegen. Vielleicht würde doch noch alles gut werden mit der Familie von Waldeck. Wir lächelten uns an, wie Freunde es tun. Voller Zuversicht und Verständnis.
    »Vielen Dank, Frederick. Und entschuldige, dass ich gesagt habe, du seist eine Null.« Er erhob sich.
    »Wann hast du das gesagt?«, wollte ich verwirrt wissen.
    Er lachte unsicher und massierte mit einer Hand meinen Nacken. »Ha! Keine Ahnung, vielleicht habe ich es auch nur gedacht. Nicht so schlimm. Wir sehen uns dann unten.«
    Ich blickte ihm nach, als er im Flur verschwand. Vorsichtig stand ich auf und setzte mich auf den Rand des Bettes, in dem Eirwyn noch immer seelenruhig schlief. Sanft beugte ich mich zu ihr und küsste ihren Nacken. Sie quiekte leise und lächelte im Schlaf. Wohlgefühl durchströmte mich, dass ihr meine Berührung offenbar gefiel, auch wenn sie sicherlich an ihren strahlenden Helden in seinen engen Lederhosen gedacht hatte. Dennoch war ich nicht unzufrieden und ging in den unerhört kleinen Waschraum, um mich meiner wohlverdienten und ausgedehnten morgendlichen Toilette zu widmen.

Concupiscentia

    Es vergingen weniger als zwei Tage, bis wir schließlich die Anhöhen von Amaranth Manor erreichten, und den vermoderten Farnen des Wilden Waldes entkommen waren. Dessen einlullende Atmosphäre einer unwirklichen Unterwasserwelt blieb hinter uns zurück wie glitschige Fangarme. Dennoch glich die Fahrt bis zu unserem Ziel einem Martyrium. Wir hatten uns trotz des Schlafes in einem Federbett und des warmen Morgenmahls nicht wirklich von den wahnwitzigen Erlebnissen erholen können. Es schien, als würden wir alle mit gebrochenem Rücken das Anwesen erreichen, ohne die Gelegenheit, jemals wieder über eine unversehrte Seele zu verfügen. Kurz, wir waren körperlich und seelisch Geächtete. Gerade noch wehten die

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