Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
darüber verfügen kann. Das Elend habe ich kennen gelernt, ich will nichts mehr davon wissen. Es gibt gewisse Bekanntschaften, von denen man auf der Stelle genug hat.« »Früher sagtest du: ›Das Glück bin ich!‹ Wie du dich verändert hast!« rief Susanne. »Das macht die Schweizer Luft, dort wird man sparsam ... Sieh, da geh hin, meine Liebe! Nimm dir einen Schweizer, du schaffst dir vielleicht einen Ehemann! Denn sie wissen noch nicht, was für Frauen wir sind ... Auf alle Fälle liebst du, wenn du zurückkommst, die Renten in Staatsschuldscheinen, und das ist eine ehrliche und zarte Liebe! ... Adieu.«
Esther stieg wieder in ihren schönen Wagen, den die prachtvollsten Apfelschimmel zogen, die in Paris zu finden waren.
»Die Frau, die in den Wagen steigt,« sagte Peyrade auf englisch zu Contenson, »ist hübsch; aber die andere, die dort spazieren geht, gefällt mir noch besser; du wirst ihr folgen und in Erfahrung bringen, wer sie ist.« »Dieser Engländer hat eben auf englisch folgendes gesagt,« sagte Theodor Gaillard, und er wiederholte Frau du Val-Noble Peyrades Rede.
Ehe Peyrade sich Englisch zu sprechen getraute, hatte er in dieser Sprache ein Wort hingeworfen, das Theodor Galliard eine Bewegung seiner Gesichtszüge entlockte, wodurch er sich davon überzeugte, daß der Journalist Englisch verstand. Frau du Val-Noble ging alsbald sehr langsam nach Hause, indem sie zur Seite sah, ob der Mulatte ihr auch folgte; sie wohnte in einem anständigen Logierhaus der Rue Louis-le-Grand. Dieses Logierhaus gehörte einer Frau Gérard, der Frau du Val-Noble in den Tagen ihres Glanzes gefällig gewesen war und die ihrer Dankbarkeit Ausdruck gab, indem sie ihr eine annehmbare Unterkunft bot. Diese Person, eine ehrenwerte und sogar fromme Bürgersfrau voller Tugenden, nahm die Kurtisane wie ein Wesen höherer Ordnung auf; sie sah sie immer noch inmitten ihres Luxus und hielt sie für eine Königin im Unglück. Sie vertraute ihr ihre Töchter an, und – das ist natürlicher, als man denkt – die Kurtisane war ebenso vorsichtig, wenn sie sie ins Schauspiel führte, wie es eine Mutter gewesen wäre; die beiden Fräulein Gérard liebten sie. Die tüchtige und würdige Wirtin glich jenen wundervollen Priestern, die in diesen vom Gesetz verstoßenen Frauen ein Geschöpf sehen, das man retten und lieben muß. Frau du Val-Noble achtete diese Anständigkeit, oft beneidete sie sie, wenn sie abends plauderte und ihr Unglück beklagte. »Sie sind noch schön, Sie können ein gutes Ende erleben,« sagte Frau Gérard. Frau du Val-Noble war übrigens nur verhältnismäßig gefallen. Die so verschwenderische und elegante Toilette dieser Frau war noch gut versehen, genug, um ihr gelegentlich zu erlauben – wie zum Beispiel am Tage des ›Richard Darlington‹ in der Porte Saint-Martin –, daß sie in ihrem ganzen Glanze erschien. Frau Gérard bezahlte noch bereitwillig genug die Wagen, die, die ›Frau zu Fuß‹ nötig hatte, wenn sie in der Stadt dinierte oder sich ins Theater begab oder aus ihm nach Hause kam.
»Also, meine liebe Frau Gérard,« sagte sie zu dieser anständigen Familienmutter, »mein Schicksal will sich wenden, glaube ich ...« »Nun, um so besser; aber seien Sie verständig, denken Sie an die Zukunft ... Machen Sie keine Schulden mehr. Es wird mir so schwer, all die fortzuschicken, die Sie suchen! ...« »Oh, kümmern Sie sich nicht um diese Hunde, die ungeheure Summen an mir verdient haben. Hier, da sind zwei Billette zum Théâtre des Variétes für Ihre Töchter, eine gute Loge im zweiten Rang. Wenn heute abend jemand nach mir fragen sollte und ich bin noch nicht wieder zu Hause, so lassen Sie ihn trotzdem hinaufsteigen. Adele, meine ehemalige Zofe, wird da sein; ich werde sie Ihnen schicken.«
Frau du Val-Noble, die weder Tante noch Mutter hatte, sah sich gezwungen, ihre Zuflucht zu ihrer Kammerfrau, die gleichfalls »zu Fuß« war, zu nehmen, damit sie bei dem Unbekannten, dessen Eroberung ihr erlauben sollte, sich wieder zu ihrem Rang zu erheben, die Rolle einer Saint-Estéve spielte. Sie ging mit Theodor Gaillard zum Diner, denn der hatte gerade für diesen Tag eine »Partie«, das heißt, er war von Nathan, der eine verlorene Wette bezahlte, zum Diner eingeladen worden: es war eine jener Orgien, von denen man bei der Einladung sagt: Es werden Frauen da sein.
Peyrade hatte sich nicht ohne zwingende Gründe entschlossen, sich persönlich auf das Feld dieser Intrige zu begeben. Seine Neugier war
Weitere Kostenlose Bücher