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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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nichtsdestoweniger um so eher als eine alte Frau gelten, als jede Frau in solchen Krisen alle ihre Rivalinnen gegen sich hat. Mariette, Florine und Tullia luden zwar ihre Freundin zum Diner ein und unterstützten sie wohl etwas; aber da sie die Ziffer ihrer Schulden nicht kannten, so wagten sie die Tiefe dieses Abgrunds auch nicht zu ergründen. Ein Zwischenraum von sechs Jahren legte im Fluten des Pariser Meeres einen zu weiten Abstand zwischen die Torpille und Frau du Val-Noble, als daß die ›Frau zu Fuß‹ sich hätte an die Frau im Wagen wenden können; aber die Val-Noble kannte Esther als zu großmütig, als daß sie nicht bisweilen hätte bedenken sollen, daß sie sie, nach ihrem eigenen Ausdruck, beerbt hatte, und daß sie nicht in einer Begegnung mit ihr zusammengetroffen wäre, die zufällig erscheinen konnte, obwohl sie herbeigeführt war. Um diesen Zufall nicht zu versäumen, ging Frau du Val-Noble, als anständige Frau gekleidet, täglich auf den Champs Elysées spaziere; am Arm hatte sie Theodor Gaillard, der sie schließlich auch heiratete und der sich in dieser Notlage sehr gut gegen seine einstige Geliebte benahm: er gab ihr Logen und ließ sie zu allen ›Partien‹ einladen. Sie schmeichelte sich mit dem Gedanken, Esther würde bei schönem Wetter einmal spazieren gehen und so würden sie sich plötzlich gegenüberstehen. Esther hatte Paccard zum Kutscher, denn ihr Haus wurde nach den Befehlen Herreras von Asien, Europa und Paccard in fünf Tagen so eingerichtet, daß dies Hotel der Rue Saint-Georges zu einer uneinnehmbaren Festung wurde. Auf der andern Seite wählte auch Peyrade, den sein tiefer Haß und sein Verlangen nach Rache trieben, vor allem aber der Wunsch, seine teure Lydia zu versorgen, die Champs Elysées zum Ziel seiner Spaziergänge, sowie Contenson ihm gesagt hatte, daß Herrn von Nucingens Geliebte sich dort sehen ließe. Peyrade verkleidete sich so vollkommen als Engländer, und er sprach im Französischen so vortrefflich mit jenen Zischlauten, die die Engländer in diese Sprache einführen; er sprach ferner ein so reines Englisch und kannte die Verhältnisse dieses Landes, in das ihn die Pariser Polizei 1779 und 1786 dreimal geschickt hatte, so genau, daß er seine Rolle als Engländer bei den Gesandten und in London aufrechterhalten konnte, ohne einen Argwohn zu erwecken. Peyrade, der viel von Musson, dem berühmten Mystifikator, hatte, verstand sich mit so viel Kunst zu verkleiden, daß Contenson ihn eines Tages nicht erkannte. In Begleitung Contensons, der als Mulatte verkleidet war, prüfte Peyrade Esther und ihre Leute mit jenem Auge, das unaufmerksam scheint, aber alles sieht. Er befand sich also an dem Tage, an dem Esther Frau du Val-Noble begegnete, ganz natürlicherweise in der Seitenallee, in der die Besitzer der Wagen spazieren gehen, wenn es trocken und schön ist. Peyrade, dem in Livree sein Mulatte folgte, schritt ohne Affektation und als ein echter Nabob, der nur an sich selber denkt, auf der Spur der beiden Frauen dahin, so daß er ein paar Worte ihrer Unterhaltung im Fluge auffangen mußte.
    »Nun, mein liebes Kind,« sagte Esther zu Frau du Val-Noble, »suchen Sie mich auf. Nucingen ist es sich selber schuldig, daß er die Geliebte seines Wechselmaklers nicht ohne einen Heller sitzen läßt ...« »Um so mehr, als man sagt, daß er ihn ruiniert habe,« fügte Theodor Gaillard hinzu, »und wir ganz gut Geld vom ihm erpressen könnten.« »Er speist morgen bei mir, komm, meine Gute,« sagte Esther. Dann flüsterte sie ihr ins Ohr: »Ich mache mit ihm, was ich will; er hat noch nicht so viel ...« Sie legte einen ihrer behandschuhten Nägel unter den hübschesten ihrer Zähne, jene bekannte Geste, die auf energische Weise etwa sagen will: ›Nicht das geringste!› »Du hast ihn in der Gewalt ...« »Meine Liebe, bisher hat er nur erst meine Schulden bezahlt ...« »Ist das ein Knicker!« rief Susanne du Val-Noble. »Oh,« erwiderte Esther, »ich hatte genug, um selbst einen Finanzminister abzuschrecken, Jetzt will ich vor dem ersten Mitternachtsschlag dreißigtausend Franken Rente. Oh, er ist reizend, ich kann mich nicht beklagen ... Er läßt sich nicht lumpen. In acht Tagen haben wir den Einweihungsschmaus; du sollst dabei sein ... Morgens muß er mir den Vertrag über das Haus der Rue Saint-Georges überreichen. Man kann anständigerweise ein solches Haus nicht bewohnen, ohne dreißigtausend Franken Rente für sich zu haben, damit man im Falle eines Unglücks

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