Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
geschrieben fand, wenn es auch eine fieberische Lustigkeit und das letzte Ringen einer blinden Zärtlichkeit war. ›Was hat er nur so Besonderes, daß er so geliebt wird?‹ dachte er und wiederholte damit nur, was alle Männer sagen, denen die Gabe fehlt, den Frauen zu gefallen. »Wenn es Ihnen möglich ist, zu beweisen, daß Sie nicht nur nicht Jakob Collin sind, ein entsprungener Sträfling, sondern auch, daß Sie wirklich Don Carlos Herrera, der Stiftsherr von Toledo, der geheime Gesandte Seiner Majestät Ferdinands VII. sind,« sagte der Richter zu Jakob Collin, »so werden Sie in Freiheit gesetzt, denn die Unparteilichkeit, die mein Amt verlangt, verpflichtet mich, Ihnen zu sagen, daß ich in diesem Augenblick von dem Fräulein Esther Gobseck einen Brief erhalte, in dem sie die Absicht ausspricht, Selbstmord zu begehen, und über ihre Dienstboten einen Argwohn durchblicken läßt, der sie als die Urheber der Entwendung der siebenhundertfünfzigtausend Franken zu bezeichnen scheint.«
    Während er sprach, verglich Herr Camusot die Schrift des Briefes mit der des Testamentes, und ihm wurde klar, daß der Brief von derselben Person geschrieben war wie das Testament. »Herr Richter, Sie haben zu voreilig an einen Mord geglaubt, glauben Sie nicht jetzt zu voreilig an einen Diebstahl!« »Ah!...« sagte Camusot, indem er einen Richterblick auf den Untersuchungsgefangenen warf. »Glauben Sie nicht, ich stellte mich bloß, wenn ich Ihnen sage, daß diese Summe sich wiederfinden kann,« fuhr Jakob Collin fort, indem er dem Richter zu verstehen gab, daß er seinen Argwohn begriffen habe. »Dieses arme Mädchen wurde von ihren Leuten herzlich geliebt; und wenn ich frei wäre, würde ich es übernehmen, das Geld zu suchen, das jetzt Lucien gehört, dem Wesen, das ich von allen in der Welt am meisten liebe... Würden Sie die Güte haben, mich diesen Brief lesen zu lassen? Ich werde schnell damit fertig sein... Es ist der Beweis für die Unschuld meines armen Kindes... Sie können nicht fürchten, daß ich ihn vernichte... noch auch, daß ich darüber rede: ich befinde mich in Einzelhaft.« »In Einzelhaft ...« rief der Richter; »darin sollen Sie nicht bleiben. Ich selbst bitte Sie, Ihre Personalien so schnell wie möglich aufzuklären; nehmen Sie Ihre Zuflucht zum Gesandten, wenn Sie wollen...« Und er reichte Jakob Collin den Brief hin.
    Camusot war glücklich, daß er aus der Verlegenheit kam, indem er den Oberstaatsanwalt und die Damen von Maufrigneuse und von Sérizy befriedigen konnte. Nichtsdestoweniger sah er sich das Gesicht seines Untersuchungsgefangenen kühl und neugierig an, während jener den Brief der Kurtisane las; und trotz der Aufrichtigkeit der Empfindungen, die sich darauf malten, sagte er sich: ›Und doch ist es eine Bagnophysiognomie!‹
    »Das nenne ich Liebe!...« sagte Jakob Collin, indem er den Brief zurückgab. Und er zeigte Camusot ein von Tränen überströmtes Gesicht.
    »Wenn Sie ihn kennten!« fuhr er fort. »Er ist eine so junge, so frische Seele, eine so wundervolle Schönheit, ein Kind, ein Dichter... Unwiderstehlich empfindet man das Bedürfnis, sich ihm zu opfern, seine geringsten Wünsche zu befriedigen. Dieser gute Lucien ist so entzückend, wenn er schmeichelt!...«
    »Nun,« sagte der Richter mit einer letzten Anstrengung, die Wahrheit zu entdecken, »Sie können nicht Jakob Collin sein...« »Nein,« sagte der Sträfling. Und Jakob Collin wurde mehr als je zu Don Carlos Herrera. In dem Wunsch, sein Werk zu krönen, trat er auf den Richter zu, führte ihn in die Fensternische und gab sich das Ansehen eines Kirchenfürsten, während er einen vertraulichen Ton anschlug.
    »Ich liebe dieses Kind so sehr, Herr Richter, daß, wenn ich der Verbrecher sein müßte, für den Sie mich halten, um diesem Idol meines Herzens eine Unannehmlichkeit zu ersparen, ich mich selbst anklagen würde,« sagte er mit leiser Stimme. »Ich würde das arme Mädchen nachahmen, das sich zu seinem Vorteil ermordet hat. Deshalb, Herr Richter, flehe ich Sie an, mir eine Gunst zu gewähren, und zwar die, daß Sie Lucien auf der Stelle in Freiheit setzen.« »Dem widersetzt sich meine Pflicht,« erwiderte Camusot gutmütig; »aber wenn man mit dem Himmel einen Vergleich schließen kann, so weiß die Justiz Rücksichten zu nehmen, und wenn Sie mir gute Gründe anführen können ... Reden Sie, dies wird nicht niedergeschrieben.«
    »Nun,« fuhr Jakob Collin fort, da die Gutmütigkeit Camusots ihn täuschte, »ich

Weitere Kostenlose Bücher