Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Reichtum und dem Ruhm beugt, will sich nicht vor dem Glück noch vor der Tugend beugen, denn ich hätte auch Gutes getan... Oh, wie viel Tränen hätte ich getrocknet! Ebensoviel, wie ich vergossen habe! Ja, ich hätte nur für Dich und die Wohltätigkeit leben wollen.
Das sind die Gedanken, die mir den Tod anbetungswürdig machen. Also stimme keine Klagen an, mein Liebster! Sag Dir oft: ›Zwei gute Mädchen, zwei schöne Geschöpfe haben gelebt; beide sind für mich gestorben, ohne mir zu grollen, und sie beteten mich an!‹ Errichte in Deinem Herzen Coralie und Esther einen Gedenkstein und geh Deines Weges! Entsinnst Du Dich des Tages, an dem Du mir eine verschrumpfte Alte in melonengrünem Überwurf und flohbraunem Mantel mit schwarzen Fettflecken zeigtest, die vor der Revolution die Geliebte eines Dichters gewesen war; die Sonne wärmte sie kaum, obgleich sie sich wie eine Statistin in die Tuilerien gestellt hatte, während sie sich um einen grauenhaften Mops Sorge machte, um den letzten der Möpse? Du weißt, sie hatte Lakaien, Equipagen und ein Hotel gehabt! Ich sagte Dir damals: ›Es ist besser, man stirbt mit dreißig Jahren!‹ Nun, an jenem Tage fandest Du mich nachdenklich; Du machtest Narrheiten, um mich zu zerstreuen; und zwischen zwei Küssen sagte ich Dir noch: ›Jeden Tag verlassen die Frauen das Theater vor dem Schluß!...‹ Nun also, ich habe den letzten Akt nicht mehr sehen wollen, das ist alles...
Du wirst mich geschwätzig finden, aber es ist mein letztes Geplapper. Ich schreibe Dir, wie ich mit Dir sprach, und ich will lustig sprechen mit Dir. Die Schneiderinnen, die sich beklagen, habe ich immer verabscheut; Du weißt, ich habe schon einmal gut zu sterben verstanden, als ich zurückkehrte von jenem verhängnisvollen Opernball, wo man Dir sagte, ich sei eine Dirne gewesen!
O nein, mein Liebling, verschenke dieses Bild niemals! Wenn Du wüßtest, mit welchen Fluten der Liebe ich mich eben in Deine Augen versenkt habe, indem ich sie während einer Pause, die ich machte, berauscht ansah, so würdest Du glauben, wenn Du die Liebe wieder abnähmst, die ich auf dieses Elfenbein zu kristallisieren versucht habe, daß da die Seele Deines Liebchens liegt.
Eine Tote, die um ein Almosen bettelt, das ist doch Komik!... Doch man muß es verstehen, sich in seinem Grabe ruhig zu halten.
Du weißt nicht, wie heroisch mein Tod den Dummköpfen erscheinen würde, wenn sie wüßten, daß Nucingen mir heute nacht zwei Millionen geboten hat, wenn ich ihn lieben wollte, wie ich Dich liebe. Er wird sich hübsch gefoppt vorkommen, wenn er erfährt, daß ich ihm Wort gehalten habe, indem ich an ihm starb. Ich habe alles versucht, um auch fernerhin die Luft atmen zu können, die Du atmest. Ich habe diesem dicken Dieb gesagt: ›Wollen Sie geliebt werden, wie Sie es wünschen? Ich will mich sogar verpflichten, Lucien nie wiederzusehen...‹ ›Was muß ich tun?‹ fragte er. ›Geben Sie mir zwei Millionen für ihn!‹ Nein, wenn Du seine Grimasse gesehen hättest!... Ach, ich hätte darüber gelacht, wenn es für mich nicht so tragisch gewesen wäre. ›Ersparen Sie sich eine Abweisung,‹ sagte ich. ›Ich sehe, Ihnen liegt mehr an Ihren zwei Millionen, als an mir. Eine Frau ist immer froh, wenn sie weiß, was sie wert ist,‹ fügte ich hinzu, indem ich ihm den Rücken wandte.
Dieser alte Halunke weiß in ein paar Stunden, daß ich nicht scherzte.
Wer wird Dir wie ich den Scheitel ins Haar ziehen? Bah, ich will an nichts aus dem Leben mehr denken, ich habe nur noch fünf Minuten; die schenke ich Gott; sei nicht eifersüchtig auf ihn, mein lieber Engel, ich will ihm von Dir reden, Dein Glück als Preis für meinen Tod und meine Strafen in der andern Welt erbitten. Es langweilt mich, daß ich in die Hölle soll; ich hätte gern die Engel gesehen, um zu erfahren, ob sie Dir gleichen...
Adieu, mein Liebling, adieu! Ich segne Dich mit meinem ganzen Unglück. Bis ins Grab hinein bleibe ich
Deine Esther.
Es schlägt elf Uhr. Ich habe mein letztes Gebet verrichtet, ich will mich jetzt legen, um zu sterben. Noch einmal, adieu! Ich wollte, die Wärme meiner Hand ließe hier meine Seele zurück, wie ich einen letzten Kuß darauf drücke; und ich will Dich noch einmal mein reizendes Kätzchen nennen, obwohl Du die Ursache des Todes bist Deiner
Esther.«
Eine Regung von Eifersucht zog dem Richter das Herz zusammen, als er die Lektüre des einzigen Selbstmörderbriefes beendet hatte, den er je mit dieser Lustigkeit
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