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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sehr trockenes Protokoll, eine getreue Analyse der Fragen und Antworten; aber von seinen heimtückisch väterlichen Reden, von seinen verfänglichen Ermahnungen – gleich dieser hier – bleibt dabei nichts übrig. Die Richter der höheren Rechtsprechung und die Geschwornen sehen nur die Resultate, ohne die Wege, die zu ihnen führten, zu kennen. Daher wäre nach einigen trefflichen Köpfen auch die Jury ausgezeichnet für die Untersuchung geeignet, wie sie sie ja in England führt. Frankreich hat dieses System während einer gewissen Zeit gleichfalls gehabt. Unter dem Kodex vom Brumaire des Jahres IV nannte man diese Jury im Gegensatz zur Urteilsjury die Anklagejury. Was den eigentlichen Prozeß angeht, so müßte der, wenn man auf die Anklagejury zurückgriffe, an die zweitinstanzlichen Gerichte fallen, bei denen keine Geschwornen mitzuwirken hätten.
    »Also,« sagte Camusot nach einer Pause, »wie heißen Sie? – Achtung, Herr Coquart,« fügte er für den Kanzlisten hinzu. »Lucien Chardon von Rubempré.« »Sie sind geboren?« »Zu Angoulême.« Und Lucien gab Tag, Monat und Jahr an. »Geerbt haben Sie nichts?« »Nein.« »Trotzdem haben Sie während eines ersten Aufenthalts in Paris im Vergleich zu Ihrem geringen Vermögen sehr beträchtliche Ausgaben gemacht.« »Ja; aber zu jener Zeit hatte ich in Fräulein Coralie eine äußerst ergebene Freundin, die ich zu verlieren das Unglück hatte. Der Schmerz über diesen Tod trieb mich in meine Heimat zurück.« »Schön,« sagte Camusot, »ich lobe Ihre Offenheit, wir werden sie zu würdigen wissen.« Lucien nahm, wie man sieht, einen Anlauf zu einer Generalbeichte.
    »Sie haben seit Ihrer Rückkehr aus Angoulême in Paris noch beträchtlichere Aufwendungen gemacht,« fuhr Camusot fort, »Sie haben gelebt wie ein Mann, der etwa sechzigtausend Franken Rente hat.« »Ja.« »Wer lieferte Ihnen dieses Geld?« »Mein Gönner, der Abbé Carlos Herrera.« »Wo haben Sie den kennen gelernt?« »Ich bin ihm auf der Landstraße begegnet, und zwar in einem Augenblick, als ich mich meines Lebens durch einen Selbstmord entledigen wollte...« »Sie haben in Ihrem Hause niemals von ihm gehört? Etwa von Ihrer Mutter?« »Nie.« »Ihre Mutter hat Ihnen nie gesagt, daß sie dem Spanier einmal begegnet ist?« »Nie.« »Können Sie sich entsinnen, in welchem Jahr und welchem Monat Sie die Bekanntschaft des Fräuleins Esther machten?« »Es war Ende 1823, in einem kleinen Theater des Boulevards.« »Sie hat Ihnen zunächst Geld gekostet?« »Ja.« »Sie haben letzthin in der Absicht, Fräulein von Grandlieu zu ehelichen, die Reste des Schlosses Rubempré gekauft; Sie haben noch für eine Million Ländereien hinzuerworben, Sie haben der Familie Grandlieu gesagt, Ihre Schwester und Ihr Schwager hätten eine beträchtliche Erbschaft gemacht, und Sie verdankten ihrer Freigebigkeit diese Summen? Haben Sie der Familie Grandlieu das gesagt?« »Ja.« »Den Grund des Abbruches der Beziehungen kennen Sie nicht?« »Nein.« »Nun, die Familie von Grandlieu hat einen der angesehensten Anwälte von Paris zu Ihrem Schwager geschickt, um Einkünfte einzuholen. Zu Angoulême hat der Anwalt durch das Geständnis eben Ihrer Schwester und Ihres Schwagers erfahren, daß sie Ihnen nicht nur sehr wenig geliehen haben, sondern daß auch die Erbschaft lediglich aus freilich bedeutenden Immobilien bestanden habe; die Summe der Kapitalien belief sich auf kaum zweihunderttausend Franken... Sie werden es nicht merkwürdig finden, daß eine Familie wie die der Grandlieus sich vor einem Vermögen scheut, dessen Ursprung sich nicht feststellen läßt... Dahin hat eine Lüge Sie geführt...«
    Lucien erstarrte vor dieser Offenbarung, und die geringe Geisteskraft, die er noch besaß, verließ ihn.
    »Die Polizei und die Justiz erfahren alles, was sie erfahren wollen,« sagte Camusot, »bedenken Sie das wohl. Nun,« fuhr er fort, da ihm einfiel, daß Jakob Collin sich die Eigenschaft als Vater beigelegt hatte, »wissen Sie, wer dieser angebliche Carlos Herrera ist?« »Ja, aber ich habe es zu spät erfahren.« »Wieso zu spät? Erklären Sie sich.« »Er ist kein Priester, er ist kein Spanier, er ist ...« »Ein entsprungener Sträfling?« fragte der Richter lebhaft. »Ja,« erwiderte Lucien. »Als mir das verhängnisvolle Geheimnis enthüllt wurde, war ich in seiner Schuld; ich hatte geglaubt, ich schlösse mich einem ehrenwerten Geistlichen an...« »Jakob Collin ...« sagte der Richter, der einen Satz

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