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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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beginnen wollte. »Ja, Jakob Collin,« wiederholte Lucien, »das ist sein Name.« »Gut. Jakob Collin«, fuhr Herr Camusot fort, »ist eben von jemandem erkannt worden, und wenn er seine Identität noch leugnet, so geschieht es, glaube ich, in Ihrem Interesse. Aber ich fragte Sie nur, ob Sie wüßten, wer dieser Mensch ist, um einen weiteren Betrug Jakob Collins aufzudecken.«
    Lucien fühlte, als er diese beängstigende Bemerkung hörte, sofort etwas wie ein rotglühendes Eisen in seinen Eingeweiden.
    »Sie wissen wohl nicht,« sagte der Richter fortfahrend, »daß er sich, um die außerordentliche Liebe, die er für Sie hegt, zu erklären, als Ihren Vater ausgibt?« »Er mein Vater!... Oh! das hat er gesagt?« »Haben Sie einen Verdacht, woher die Summen kamen, die er Ihnen einhändigte? Denn wenn man dem Brief, den Sie in der Hand halten, glauben kann, so hätte Ihnen das Fräulein Esther, das arme Mädchen, später dieselben Dienste geleistet wie das Fräulein Coralie; aber Sie haben, wie Sie selber sagen, ein paar Jahre hindurch gelebt, und zwar sehr großartig gelebt, ohne etwas von ihr zu erhalten.« »Ich muß Sie bitten, mir zu sagen,« rief Lucien, »woher Sträflinge Geld nehmen!... Ein Jakob Collin mein Vater!... O meine arme Mutter!...« Und er brach in Tränen aus.
    »Kanzlist, lesen Sie dem Untersuchungsgefangenen die Stelle aus dem Verhör des angeblichen Carlos Herrera vor, an der er sich den Vater Lucien von Rubemprés nennt.« Der Dichter hörte in einem Schweigen und einer Haltung zu, die zu sehen schmerzlich war.
    »Ich bin verloren!« rief er aus. »Man verliert sich nicht auf dem Wege der Ehre und Wahrheit,« sagte der Richter. »Aber Sie werden Jakob Collin vor das Schwurgericht bringen?« fragte Lucien. »Sicherlich,« sagte Camusot, der Lucien noch weiter zum Reden bringen wollte. »Vollenden Sie Ihren Gedanken.«
    Aber trotz der Bemühungen und Ermahnungen des Richters antwortete Lucien nicht mehr. Die Überlegung war zu spät gekommen, wie sie bei allen Männern zu spät kommt, die Sklaven ihrer Empfindungen sind. Darin liegt der Unterschied zwischen dem Dichter und dem Mann der Tat: der eine überläßt sich dem Gefühl, um es in lebhaften Bildern darzustellen, und er urteilt erst nachher; der andere fühlt und urteilt zugleich. Lucien blieb finster und blaß; er sah sich auf dem Boden des Abgrundes, in den der Untersuchungsrichter ihn gestürzt hatte, da er, der Dichter, sich von seiner Gutmütigkeit hatte fangen lassen. Er hatte nicht nur seinen Wohltäter, sondern auch seinen Mitschuldigen verraten, der ihre Stellung seinerseits mit dem Mut eines Löwen und mit lückenlosem Geschick verteidigt hatte. Da, wo Jakob Collin durch seine Verwegenheit alles gerettet hatte, hatte Lucien, der Mann von Geist, durch seine Verständnislosigkeit und seinen Mangel an Überlegung alles zugrunde gerichtet. Diese gemeine Lüge, die ihn entrüstete, diente dazu, eine noch gemeinere Wahrheit zu verhüllen. Verwirrt durch den Scharfblick des Richters, entsetzt ob seiner grausamen Gewandtheit, ob der Geschwindigkeit der Hiebe, die er gegen ihn geführt hatte, indem er sich der Fehltritte seines ans Licht gezogenen Lebens wie einer Sonde bediente, mit der er sein Gewissen durchforschte, so glich Lucien dem Tier, das der Hauklotz des Schlachthauses gefehlt hat. Als er in dieses Zimmer eintrat, war er frei und unschuldig gewesen; jetzt sah er sich auf Grund seiner eigenen Geständnisse als Verbrecher. Zuletzt machte der Richter ihn – ein letzter ernsthafter Scherz – noch ruhig und kühl darauf aufmerksam, daß seine Enthüllungen das Ergebnis eines Irrtums waren. Camusot dachte an die Vaterschaft, die Jakob Collin sich zugeschrieben hatte, während Lucien, ganz beherrscht von der Angst, sein Bündnis mit einem entsprungenen Sträfling bekannt werden zu sehen, die berühmte Unachtsamkeit der Mörder des Ibykus nachgeahmt hatte.
    Es ist einer der Ruhmestitel Royer-Collards, daß er den beständigen Triumph der natürlichen Empfindungen über die aufgezwungenen Empfindungen verkündet, daß er die Sache der Eidespriorität vertreten hat, indem er behauptete, daß zum Beispiel das Gesetz der Gastfreundschaft bis zu einem Grade bindend sei, der den Gerichtseid aufhebe. Er hat diese Theorie der ganzen Welt und der französischen Kanzel gegenüber bekannt; er hat mutig die Verschwörer gerühmt, er hat gezeigt, daß es menschlich ist, eher den Gesetzen der Freundschaft zu gehorchen als den tyrannischen

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