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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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und die Jakob Collin so gut analysiert hatte, sind diese plötzlichen Übergänge aus einem Zustand vollständiger Demoralisation in einen gewissermaßen metallischen Zustand – so sehr spannen sich die menschlichen Kräfte an – die hervorstechendsten Erscheinungen ihres Geisteslebens. Der Wille kehrt zurück wie das versiegte Wasser einer Quelle; er strömt in den Apparat hinein, den das Spiel seiner unbekannten Wesensmaterie vorbereitet hat; und dann wird der Leichnam zum Menschen, und der Mensch stürzt sich voll Kraft in letzte Kämpfe.
    Lucien legte Esthers Brief mit dem Bild, das sie ihm geschickt hatte, aufs Herz. Dann grüßte er Herrn Camusot geringschätzig und schritt zwischen zwei Gendarmen festen Schrittes durch die Korridore.
    »Das ist ein gemeiner Halunke!« sagte der Richter zu seinem Kanzlisten, um sich für die zermalmende Verachtung zu rächen, die der Dichter ihm gezeigt hatte. »Er glaubte sich zu retten, indem er seinen Mitschuldigen auslieferte.« »Von den beiden«, sagte Coquart schüchtern, »ist der Sträfling der Stärkere...«
    »Ich schenke Ihnen für heute Ihre Freiheit, Coquart,« sagte der Richter. »Das ist wohl genug. Schicken Sie die Leute, die da warten, fort und lassen Sie sie morgen wiederkommen. Ah, gehen Sie gleich einmal zum Herrn Oberstaatsanwalt, um zu sehen, ob er noch in seinem Zimmer ist; wenn er dort ist, bitten Sie ihn um einen Augenblick Gehör für mich. Oh, er wird noch da sein,« fuhr er fort, indem er auf eine scheußliche grüngestrichene und mit vergoldeten Leisten versehene Holzuhr blickte. »Es ist ein Viertel nach drei.«
    Diese Verhöre, die sich so schnell lesen, müssen in Fragen und Antworten vollständig niedergeschrieben werden und nehmen deshalb eine ungeheure Zeit in Anspruch. Das ist einer der Gründe der Langsamkeit aller Kriminaluntersuchungen und der Dauer der Untersuchungshaft. Für die Kleinen bedeutet das den Ruin, für die Reichen die Schmach; denn für sie macht eine sofortige Freilassung das Unheil einer Verhaftung wieder gut, soweit es sich wieder gutmachen läßt. So hatten denn die beiden Szenen, die soeben getreulich wiedergegeben worden sind, die ganze Zeit in Anspruch genommen, die Asien gebraucht hatte, um die Befehle des Gebieters zu entziffern, um eine Herzogin aus ihrem Boudoir hervorzulocken und Frau von Sérizy Mut zu verleihen.
    Camusot, der aus seiner Geschicklichkeit Nutzen zu ziehen gedachte, nahm die beiden Protokolle, las sie noch einmal durch und beschloß, sie dem Oberstaatsanwalt zu zeigen und ihn um seine Meinung zu befragen. Während der Überlegung, der er sich hingab, kehrte sein Gerichtsdiener zurück, um ihm zu sagen, daß der Kammerdiener der Frau Gräfin von Sérizy ihn durchaus sprechen wollte. Auf einen Wink Camusots trat ein Diener, der gekleidet war wie ein Herr, ein, sah abwechselnd auf den Gerichtsdiener und den Richter und sagte: »Ich habe doch die Ehre, mit Herrn Camusot ...?« »Ja,« erwiderten Richter wie Gerichtsdiener.
    Camusot nahm einen Brief, den der Bedienstete ihm reichte, und las, was folgt:
     
    Im Interesse vieler Dinge, die Sie kennen, mein lieber Camusot, dürfen Sie Herrn von Rubempré nicht verhören; wir bringen Ihnen die Beweise für seine Unschuld, damit er sofort freigelassen werde.
    D. von Maufrigneuse. L. von Sérizy.
    P. S. Verbrennen Sie diesen Brief.
    Camusot begriff, daß er einen ungeheuren Fehler begangen hatte, indem er Lucien Fallen stellte; und zunächst gehorchte er einmal den beiden großen Damen: er entzündete eine Kerze und verbrannte den Brief, den die Herzogin geschrieben hatte. Der Kammerdiener grüßte ehrfurchtsvoll. »Frau von Sérizy wird also kommen?« fragte Camusot. »Man spannte an,« versetzte der Kammerdiener.
    In diesem Augenblick meldete Coquart Herrn Camusot, daß der Oberstaatsanwalt ihn erwartete.
    Unter der Last des Fehlers, den er zugunsten der Gerechtigkeit wider seinen eigenen Vorteil begangen hatte, wollte sich der Richter, bei dem sieben Jahre der Übung jene Schlauheit entwickelt hatten, mit der jeder bewehrt ist, der sich während des Studiums mit Grisetten gemessen hat, Waffen gegen den Groll der beiden großen Damen verschaffen. Die Kerze, an der er den Brief verbrannt hatte, war noch nicht verlöscht, und also bediente er sich ihrer, um die dreißig Billette der Herzogin von Maufrigneuse an Lucien und die ziemlich umfangreiche Korrespondenz der Frau von Sérizy zu versiegeln. Dann begab er sich zu dem Oberstaatsanwalt.
    Der

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