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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gleichsam eine Schicht von Firnis gelegt. Wenn Seidenfaden sich gezeigt hätte, wie er von Natur aussah, so hätte ein Polizeiagent, ein Gendarm auf dreißig Schritte sein Wild erkannt; aber er war Jakob Collin ebenbürtig in der Kunst, sich zu bemalen und zu kostümieren. In diesem Augenblick trug Seidenfaden – er war wie alle großen Schauspieler, die nur auf dem Theater in ihrer Kleidung sorgfältig sind, im Negligé – eine Art Jagdjacke, an der die Knöpfe fehlten und deren ausgerissene Knopflöcher das Weiß des Futters zeigten, schlechte grüne Pantoffeln, eine schon grau gewordene Nankinghose und auf dem Kopf eine Mütze ohne Schild, unter der die Zipfel eines ausgefaserten, von Rissen durchfurchten und gewaschenen Kopftuches hervorsahen.
    Neben Seidenfaden bildete Le Biffon einen vollständigen Gegensatz. Dieser berühmte Dieb war klein von Wuchs, dick und fett und beweglich; sein Teint war fahl, sein Auge schwarz und tief in den Kopf gesenkt; er war gekleidet wie ein Koch und stand auf stark gebogenen Beinen; er erschreckte durch einen Gesichtsausdruck, in dem alle Merkmale der den Raubtieren eigentümlichen Organisation vorherrschten.
    Seidenfaden und Le Biffon machten La Pouraille den Hof, denn er hatte keine Hoffnung mehr. Dieser rückfällige Mörder wußte, daß er in weniger als vier Monaten abgeurteilt, verdammt und hingerichtet werden würde. Daher nannten Seidenfaden und Le Biffon, die ›Freunde‹ La Pourailles, ihn nie anders denn den ›Stiftsherrn‹, das heißt den ›Stiftsherrn der Abtei‹ (Guillotine). Man wird sich leicht denken können, weshalb Seidenfaden und Le Biffon La Pouraille schmeichelten. La Pouraille hatte zweihundertfünfzigtausend Franken vergraben, seinen Anteil an der Beute, die bei den Ehegatten Crottat (im Stil der Anklage) gemacht worden war. Welche wundervolle Erbschaft konnte er da den beiden Spitzen hinterlassen, wenn sie auch in wenigen Tagen ins Bagno zurückkehren mußten! Le Biffon und Seidenfaden sollten wegen schweren Diebstahls (das heißt eines Diebstahls unter erschwerenden Umständen) zu fünfzehn Jahren verurteilt werden, und man würde sie gewiß mit den zehn Jahren von einer früheren Verurteilung her zusammenlegen, die zu unterbrechen sie sich die Freiheit genommen hatten. Obgleich sie also, der eine zweiundzwanzig und der andere sechsundzwanzig Jahre Zwangsarbeit vor sich hatten, hofften sie doch, ausbrechen zu können, um sich dann La Pourailles Goldhaufen zu holen. Aber der Zehntausender hütete sein Geheimnis, denn es schien ihm unnötig, es preiszugeben, solange er noch nicht verurteilt war. Da er zur Aristokratie des Bagnos gehörte, so hatte er über seine Mitschuldigen nichts verraten. Sein Charakter war bekannt; Herr Popinot, der Untersuchungsrichter in dieser grauenhaften Angelegenheit, hatte nichts aus ihm herausbekommen können.
    Dieses furchtbare Triumvirat stand oben auf dem Hof, das heißt unterhalb der Pistolen. Seidenfaden hatte eben die Voruntersuchung gegen einen jungen Burschen abgeschlossen, der erst bei seinem ersten Streich war; da er sicher war, zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt zu werden, so zog er über die verschiedenen Wiesen (Bagnos) Erkundigungen ein.
    »Na, mein Kleiner,« sagte Seidenfaden gerade sentenziös, als Jakob Collin auftrat, »der Unterschied zwischen Brest, Toulon und Rochefort ist der ...« »Los! mein Alter,« sagte der junge Mann mit der Neugier eines Novizen.
    Dieser Angeklagte, ein Sohn aus guter Familie, der einer Fälschung angeklagt war, kam aus der Pistole neben der, die Lucien innegehabt hatte. »Mein Söhnchen,« erwiderte Seidenfaden, »in Brest ist man sicher, wenn man im Kübel schöpft, beim dritten Löffel auf Pferdebohnen zu treffen; in Toulon findet man die nur bei jedem fünften Löffel; in Rochefort aber nie, wenn man nicht ein Alter ist.«
    Als der tiefe Philosoph gesprochen hatte, schloß er sich wieder La Pouraille und Le Biffon an, die, da das ›Schwarzwild‹ sie sehr beunruhigte, begannen den Hof hinabzugehen, während Jakob Collin, in seinen Schmerz versunken, ihn heraufkam. Betrüg-den-Tod, der ganz seinen furchtbaren Gedanken gehörte, den Gedanken eines gestürzten Kaisers, dachte nicht daran, daß er der Mittelpunkt aller Blicke und der allgemeinen Aufmerksamkeit war; er schritt langsam dahin, die Augen auf das verhängnisvolle Fenster geheftet, an dem Lucien von Rubempré sich erhängt hatte. Keiner der Gefangenen wußte etwas von diesem Ereignis, denn Luciens Nachbar,

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