Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
der junge Fälscher, hatte aus Gründen, die man bald kennen lernen wird, nichts davon gesagt. Die drei Spitzen stellten sich so, daß sie dem Priester den Weg versperrten.
»Das ist kein Schwarzwild,« sagte La Pouraille zu Seidenfaden, »das ist ein Retourgaul. Sieh doch, wie er den Rechten schleift!«
Wir müssen hier erklären, denn nicht alle Leser werden die Laune gehabt haben, ein Bagno zu besuchen: jeder Sträfling ist dort mit einem andern an einer Kette gepaart – und zwar sind stets je ein Alter und ein Junger zusammen. Das Gewicht dieser Kette, die an einem Ring oberhalb des Knöchels festgeschmiedet wird, ist so groß, daß es nach einem Jahr dem Sträfling einen Gangfehler verleiht, den er nie mehr ablegt. Der Verurteilte ist gezwungen, wenn er diesen ›Handgriff‹ schleppen will – so nennt man im Bagno die Fesselung –, mit dem einen Bein mehr Kraft aufzuwenden als mit dem andern; und diese Anstrengung gewöhnt er sich unfehlbar an. Wenn er später seine Kette nicht mehr schleppt, geht es mit diesem Apparat wie mit den abgenommenen Beinen, in denen der Amputierte immer noch Schmerzen fühlt; der Sträfling spürt seine Kette immer, und er kann den fehlerhaften Gang nicht mehr ablegen. In der Sprache der Polizei ›zieht er den Rechten‹. Dieses Merkmal, das die Sträflinge untereinander genau so gut kennen wie die Polizeiagenten, vervollständigt das Wiedererkennen zwischen Kameraden, wenn es nicht geradezu dazu führt.
Bei Betrüg-den-Tod, der schon vor acht Jahren ausgebrochen war, hatte sich diese Bewegung stark abgeschwächt; aber infolge seiner Gedankenversunkenheit ging er in einem so langsamen und feierlichen Schritt, daß der Gangfehler, so schwach er auch war, einem geübten Auge wie dem La Pourailles auffallen mußte. Man versteht wohl auch, daß die Sträflinge, die im Bagno stets beisammen sind und nur sich selber beobachten können, ihre Züge so gründlich studiert hatten, daß sie gewisse Gewohnheiten kannten, die ihren systematischen Gegnern, den Spitzeln, den Gendarmen und Polizeikommissaren, entgingen. So verdankte denn auch der Oberstleutnant der Legion der Seine, der berühmte Coignard, seine Verhaftung einer bestimmten Zerrung der Kaumuskeln an der linken Backe, die ein Sträfling wiedererkannte, den man zu einer Parade dieses Truppenkörpers geschickt hatte; denn trotz der Gewißheit Bibi-Lupins wagte die Polizei nicht, an die Identität des Grafen Pontis von Sankt Helena und Coignards zu glauben.
»Das ist unser Dab (Meister)!« sagte Seidenfaden, als er einen jener zerstreuten Blicke Jakob Collins aufgefangen hatte, wie sie jemand um sich wirft, der an seiner ganzen Umgebung verzweifelt. »Meiner Treu, ja, das ist Betrüg-den-Tod!« sagte Le Biffon, indem er sich die Hände rieb. »Oh, das ist sein Wuchs, seine Schulterbreite; aber was hat er gemacht? Er sieht sich selber nicht mehr ähnlich.« »Oh, ich habs,« sagte Seidenfaden, »er hat einen Plan! Er will seine ›Tante‹ wiedersehen, die man bald hinrichten wird.«
Um eine dunkle Vorstellung von dem zu geben, was die Eingesperrten, die Stockmeister und die Aufseher eine ›Tante‹ nennen, wird es genügen, jenes wundervolle Wort anzuführen, daß der Direktor eines Gefängnisses dem verstorbenen Lord Durham gegenüber aussprach, der während seines Aufenthalts in Paris alle Gefängnisse besuchte. Dieser Lord, der alle Einzelheiten der französischen Justiz kennen lernen wollte, ließ sogar den verstorbenen Sanson, den Scharfrichter, ein Gerüst errichten und verlangte, daß ein lebendiges Kalb hingerichtet würde, damit er sich über das Spiel der Maschine, die die Franzosische Revolution berühmt gemacht hat, Rechenschaft ablegen könnte. Als der Direktor ihm das ganze Gefängnis gezeigt hatte, die Höfe, die Arbeitssäle, die Zellen usw., wies er mit dem Finger auf einen Raum, indem er eine Geste des Abscheus machte. »Dorthin führe ich Euer Gnaden nicht,« sagte er, »das ist das Quartier der Tanten...« »Oah!« sagte Lord Durham, »was ist das?« »Das dritte Geschlecht, Mylord.«
»Sie wollen Theodor hacken (hinrichten)!« sagte La Pouraille; »ein reizender Bursche! Was für eine Hand! Was für eine Stirn! Was für ein Verlust für die Gesellschaft!« »Ja, Theodor Calvi futtert zum letztenmal,« sagte Le Biffon. »Ach, seine Weiber werden schon mit den Augen klimpern, denn sie hatten den kleinen Lumpen so lieb!«
»Bist du's, mein Alter?« sagte La Pouraille zu Jakob Collin. Und gemeinsam mit seinen
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