Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
auf einen Stuhl setzen, indem er alles mit jenem Scharfblick beobachtete, der in der Ausübung solcher Ämter mit jedem Tag wächst und den man unter scheinbarer Gleichgültigkeit verbirgt.
»Ach, mein Gott!« sagte Jakob Collin, »unter diese Leute geraten zu sein, unter den Abschaum der Gesellschaft, unter Verbrecher und Mörder!... Aber Gott wird seinen Diener nicht im Stich lassen. Mein lieber Herr Direktor, ich werde meinen Aufenthalt durch Taten der Barmherzigkeit verewigen, deren Andenken bleiben soll! Ich werde diese Unglücklichen bekehren, sie sollen lernen, daß es eine Seele gibt, daß ihrer ein ewiges Leben wartet und daß sie, wenn sie auf Erden alles verloren haben, noch den Himmel erobern können, der ihnen um den Preis einer echten, aufrichtigen Reue gehört.«
Zwanzig oder dreißig Gefangene, die herbeigeeilt waren und sich hinter den drei furchtbaren Sträflingen gruppiert hatten, deren wilde Blicke drei Schritt Abstand zwischen ihnen und den Neugierigen erzwangen, hörten diese mit evangelischer Salbung gesprochenen Worte. »Den da, Herr Gault,« sagte der beängstigende La Pouraille, »ja, den würden wir anhören...«
»Man hat mir gesagt,« fuhr Jakob Collin, in dessen Nähe Herr Gault stand, fort, »es sei ein zum Tode Verurteilter in diesem Gefängnis.« »Man liest ihm eben in diesem Augenblick die Abweisung seiner Berufung vor.« »Ich weiß nicht, was das bedeutet,« sagte Jakob Collin naiv, indem er sich umblickte. »Gott, die Einfalt!« sagte der kleine junge Mann, der vorher Seidenfaden nach den Pferdebohnen der ›Wiesen‹ gefragt hatte. »Nun, heute oder morgen wird er ›gesenst‹!« sagte ein Gefangener. »Gesenst?« fragte Jakob Collin, dessen unschuldige und unwissende Miene die drei Spitzen mit Bewunderung erfüllte. »In ihrer Sprache«, sagte der Direktor, »bezeichnen sie damit die Vollstreckung der Todesstrafe. Wenn der Kanzlist schon die Berufung verliest, so wird der Scharfrichter ohne Zweifel auch den Befehl zur Hinrichtung erhalten. Der Unglückliche hat den Beistand der Religion unablässig zurückgewiesen...« »Ach, Herr Direktor, da ist eine Seele zu retten!...« rief Jakob Collin.
Und der Kirchenschänder faltete die Hände mit der Geste eines verzweifelten Liebhabers, die dem aufmerksamen Direktor als die Äußerung einer heiligen Glut erschien. »Ach, Herr Direktor,« fuhr Betrüg-den-Tod fort, »lassen Sie mich Ihnen beweisen, was ich bin und was ich vermag, indem Sie mir erlauben, in diesem verhärteten Herzen die Reue zum Erblühen zu bringen! Gott hat mir die Gabe verliehen, gewisse Worte zu sprechen, die große Wandlungen zur Folge haben. Ich zerbreche die Herzen, ich tue sie auf... Was fürchten Sie? Lassen Sie mich von Gendarmen begleiten, von Aufsehern, von wem Sie wollen!« »Ich werde sehen, ob der Gefängnisgeistliche erlaubt, daß Sie an seine Stelle treten,« sagte Herr Gault.
Und der Direktor zog sich zurück, betroffen ob der vollkommen gleichgültigen, wenn auch neugierigen Haltung, in der die Sträflinge und die Gefangenen diesen Priester anblickten, dessen salbungsvolle Stimme seiner halb spanischen, halb französischen geradebrechten Rede Reiz verlieh.
»Wie kommen Sie hierher, Herr Abbé?« fragte der junge Mann, der Seidenfaden um Rat gefragt hatte. »Oh, durch einen Irrtum,« erwiderte Jakob Collin, indem er den Sohn aus guter Familie mit den Blicken maß. »Man hat mich bei einer Kurtisane gefunden, die nach ihrem Tode bestohlen worden war. Man hat erkannt, daß sie Selbstmord begangen hat; und die Diebe, es sind wahrscheinlich die Dienstboten, sind noch nicht verhaftet.« »Und wegen dieses Diebstahls hat der junge Mensch sich erhängt?...« »Das arme Kind hat ohne Zweifel den Gedanken nicht ertragen können, daß er durch eine ungerechte Verhaftung entehrt worden war,« erwiderte Betrüg-den-Tod, indem er die Augen gen Himmel hob. »Ja,« sagte der junge Mann, »sie wollten ihn gerade entlassen, als er Selbstmord begangen hatte. Was für ein Zusammentreffen!« »Nur Unschuldige nehmen es sich so zu Herzen,« sagte Jakob Collin. »Beachten Sie wohl, daß der Diebstahl zu seinem Nachteil begangen worden ist.« »Um wieviel handelt es sich?« fragte der ernste und schlaue Seidenfaden. »Um siebenhundertfünfzigtausend Franken,« erwiderte Jakob Collin sanft.
Die drei Sträflinge sahen sich untereinander an und zogen sich aus der Gruppe zurück, in der alle Gefangenen den angeblichen Geistlichen umringten. »Den Keller der Dirne hat
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