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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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»Nun,« erwiderte Bibi-Lupin, »du kannst ruhig sein, zwanzig Jahre wirst du niemals alt...« »Und weshalb nicht?« »Oh, du wirst in drei Tagen gesenst,« versetzte der Chef des Sicherheitsdienstes. Der Mörder, der selbst nach seiner Verurteilung noch immer daran glaubte, daß man Minderjährige nicht hinrichte, brach zusammen wie eine Omelette soufflé.
    Diese Leute, die durch den Zwang, die Zeugen zu beseitigen, so grausam werden – denn sie ermorden nur, um sich der Beweise zu entledigen, und das ist einer der Gründe, wie sie jene anführen, die die Abschaffung der Todesstrafe verlangen –, diese Kolosse der Gewandtheit und Geschicklichkeit, bei denen die Sicherheit der Hand, die Schnelligkeit des Blicks und die Sinne wie bei den Wilden geübt sind, werden nur auf dem Schauplatz ihrer Taten zu Helden des Bösen. Nicht nur beginnen, sowie das Verbrechen begangen ist, ihre Verlegenheiten, denn die Notwendigkeit, ihren Raub zu verbergen, macht sie ebenso stumpfsinnig, wie sie zuvor das Elend bedrückte; sondern sie sind auch geschwächt wie die Frau, die eben entbunden wurde. In ihren Entwürfen verraten sie eine beängstigende Energie, aber nach dem Gelingen sind sie wie die Kinder. Sie haben, mit einem Wort, das Naturell der wilden Tiere, die leicht zu töten sind, nachdem sie sich vollgefressen haben. Im Gefängnis sind diese merkwürdigen Leute nur vermöge ihrer Verstellung und ihrer Verschwiegenheit Menschen; und die gibt erst im letzten Augenblick nach, wenn man sie durch die lange Dauer der Haft gebrochen und mürbe gemacht hat.
    Man wird jetzt begreifen, weshalb die drei Sträflinge ihren Führer, statt ihn zugrunde zu richten, retten wollten: sie bewunderten ihn, weil sie ihn in Verdacht hatten, sich die siebenhundertfünfzigtausend Franken, die gestohlen worden waren, angeeignet zu haben; weil sie ihn auch hinter den Riegeln der Conciergerie noch ruhig sahen, und weil sie ihn für ganz imstande hielten, sie unter seinen Schutz zu nehmen.
    Als Herr Gault den falschen Spanier verlassen hatte, kehrte er durch das Sprechzimmer in seine Kanzlei zurück und suchte Bibi-Lupin auf, der während der zwanzig Minuten, seit Jakob Collin seine Zelle verlassen hatte, gegen eins der Fenster, die auf den Hof blicken, geschmiegt, alles durch ein Guckloch beobachtet hatte. »Keiner von ihnen hat ihn erkannt,« sagte Herr Gault, »und Napolitas, der sie alle überwacht, hat nichts gehört. Der arme Priester hat heute nacht in seiner Not kein Wort gesprochen, aus dem man schließen könnte, daß seine Soutane Jakob Collin verbirgt.« »Das beweist, daß er die Gefängnisse genau kennt,« erwiderte der Chef des Sicherheitsdienstes.
    Napolitas, Bibi-Lupins Sekretär, war allen, die in diesem Augenblick in der Conciergerie gefangengehalten wurden, unbekannt; er spielte die Rolle des Sohnes aus guter Familie, der der Fälschung angeklagt war.
    »Nun bittet er, den zum Tode Verurteilten in die Beichte nehmen zu dürfen,« sagte der Direktor. »Das ist unsere letzte Möglichkeit!« rief Bibi-Lupin, »daran hatte ich noch nicht gedacht. Theodor Calvi, dieser Korse, ist der Kettengenosse Jakob Collins; Jakob Collin hat ihm, wie ich gehört habe, auf der Wiese immer die schönsten ›Pflaster‹ gemacht ...«
    Die Sträflinge stellen sich Polsterbäusche her, die sie zwischen ihren Eisenring und das Fleisch schieben, um das Gewicht der Kette auf den Knöcheln und dem Fußhals abzuschwächen. Diese Bäusche, die aus Werg und Leinen bestehen, nennen sie im Bagno ›Pflaster‹.
    »Wer wacht bei dem Verurteilten?« fragte Bibi-Lupin Herrn Gault. »Coeur-la Virole.« »Gut, ich werde mich als Gendarm verkleiden und dabei sein; ich höre ihnen zu; ich verbürge mich für alles.« »Fürchten Sie nicht, wenn er Jakob Collin ist, daß er Sie erkennen und erdrosseln könnte?« fragte der Direktor der Conciergerie Bibi-Lupin. »Als Gendarm habe ich meinen Säbel,« erwiderte der Chef; »außerdem wird er, wenn er Jakob Collin ist, niemals etwas tun, was ihn zum Transport liefert, wenn er aber ein Priester ist, so bin ich in Sicherheit.« »Es ist keine Zeit zu verlieren,« sagte jetzt Herr Gault; »es ist halb neun, Pater Sauteloup hat eben die Zurückweisung der Berufung verlesen; Herr Sanson wartet im Saal auf den Befehl der Staatsanwaltschaft.« »Ja, es soll heute losgehen; die Witwenhusaren« (die ›Witwe‹, das ist wieder ein Name für die Guillotine, und zwar ein furchtbarer Name) »sind bestellt,« sagte Bibi-Lupin. »Ich

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