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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Blut, das ihm aus den Füßen emporwallte, trieb ihm das Feuer in den Kopf, sein Kopf schickte Flammen ins Herz hinein; die Kehle schnürte sich ihm zu. Ger Unglückliche fürchtete eine schlechte Verdauung, und trotz dieser großen Befürchtung erhob er sich auf seine Füße.
    »Kalopp! Elländes Vieh, wer schläft!« rief er. »Hundert Franken, wann de einholst d'n Wagen.« [Fußnote: Der Baron von Nucingen spricht im Original den Jargon des in Frankreich ansässigen deutsch-polnischen Juden; wir deuten ihn in der Übersetzung nur an, um den Text nicht zu schwer verständlich zu machen.]
    Bei den Worten ›hundert Franken‹ erwachte der Kutscher, der Diener hinten hörte sie zweifellos noch im Schlaf. Der Baron wiederholte den Befehl; der Kutscher trieb seine Tiere zum Galopp, und es gelang ihm auch am Throntor, einen Wagen einzuholen, der jenem, in dem Nucingen die göttliche Unbekannte gesehen hatte, einigermaßen ähnlich war,» aber der erste Kommis irgendeines reichen Kaufhauses spreizte sich dann mit einer ›anständigen Frau‹ der Rue Vivienne.
    Dieser Irrtum schlug den Baron nieder. »Wann ich hält mitgenommen den Schorsch (sprich Georg) und nich dich, dummes Vieh, dann hätt er kefunden die Frau,« sagte er zu dem Diener, während die Zollbeamten den Wagen visitierten. »Ach, Herr Baron, ich glaube, der Teufel saß als Heiduck hinten auf, und er hat mir diesen Wagen untergeschoben,« »Telfel, gibt nix Teifel,« sagte der Baron.
    Der Baron von Nucingen gab damals sechzig Jahre zu; die Frauen waren ihm völlig gleichgültig geworden, vor allem seine eigene Frau. Er rühmte sich, nie die Liebe kennen gelernt zu haben, um derentwillen man Dummheiten macht. Er sah es als ein Glück an, daß er mit den Frauen fertig war, von denen er, ohne sich zu genieren, sagte, die engelgleichste sei nicht wert, was sie koste, selbst wenn sie sich gratis gebe. Er galt als so vollkommen blasiert, daß er das Vergnügen, sich betrügen zu lassen, nicht mehr für ein paar tausend Franken im Monat erkaufte. Von seiner Loge in der Oper aus tauchten seine kalten Augen ungerührt auf das Ballettkorps hinab. Kein Blinzeln flog für den Kapitalisten empor aus diesem furchterregenden Schwarm alter junger Mädchen und junger alter Frauen der Elite der Pariser Genüsse. Die natürliche Liebe, die gefälschte Liebe, die Liebe aus Eigenliebe, die Liebe aus Schicklichkeit und aus Eitelkeit, die Liebe aus Geschmack an der Sache, die anständige und eheliche Liebe, die exzentrische Liebe, alles hatte der Baron gekauft, alles kennen gelernt, nur die echte Liebe nicht. Diese Liebe hatte sich jetzt auf ihn gestürzt wie ein Adler auf seine Beute, wie sie sich auf Gentz stürzte, den Vertrauten Seiner Hoheit des Fürsten Metternich. Man weiß, welche Dummheiten dieser alte Diplomat für Fanny Eisler machte, deren Proben ihn weit mehr in Anspruch nahmen als die europäischen Interessen. Die Frau, die diese eisengepanzerte Kasse namens Nucingen umgestoßen hatte, war ihm als eine jener Frauen erschienen, die in einer Generation nur einmal vorkommen. Er war nicht sicher, ob die Geliebte Tizians, ob die Mona Lisa Leonardo da Vincis und ob Raffaels Fornarina so schön waren wie die wundervolle Esther, in der das geübteste Auge des schärfsten pariser Beobachters nicht die geringste Spur entdeckt hätte, die an die Kurtisane erinnerte. Daher blendete den Baron auch vor allem jene Sphäre einer vornehmen und großen Frau, die die geliebte, die von Luxus, Eleganz und Liebe umgebene Esther im stärksten Grade einhüllte. Die glückliche Liebe ist für alle Frauen das heilige Salbgefäß der Krönung, das sie alle stolz macht wie Kaiserinnen, Der Baron ging acht Nächte hintereinander in den Wald von Vincennes, dann in den von Boulogne, dann in die Wälder von Ville d'Avray, dann in den Wald von Meudon, kurz, in alle Umgebungen von Paris, doch ohne daß er Esther finden konnte. Dieses wundervolle Jüdinnengesicht, das er ›piplisch‹ nannte, stand ihm immer vor Augen. Nach vierzehn Tagen verlor er den Appetit. Delphine von Nucingen und seine Tochter Augusta, die die Baronin eben auszuführen begann, bemerkten den Wandel, der sich in dem Baron vollzog, nicht gleich. Mutter und Tochter sahen Herrn von Nucingen nur morgens beim Frühstück und abends beim Diner, wenn sie alle im Hause speisten, was nur vorkam, wenn Delphine empfing. Aber nach zwei Monaten begann der Baron, den ein Fieber der Ungeduld gepackt hatte und der einer ähnlichen Krankheit

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