Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
seit einigen Tagen viel in die Gesellschaft,« sagte sie, indem sie Eifersucht und Unruhe unter einem Lächeln barg. »In die Gesellschaft?...« erwiderte Lucien. »Nein, ich habe nur durch den größten Zufall die ganze Woche hindurch bei Bankiers gespeist, heute bei Nucingen, gestern bei du Tillet, vorgestern bei den Kellers...«
Man sieht, daß Lucien es gut verstanden hatte, den geistreich unverschämten Ton großer Herren anzunehmen.
»Sie haben sehr viele Feinde,« sagte Klotilde zu ihm, als sie ihm – und mit welcher Liebenswürdigkeit! – eine Tasse Tee anbot. »Man hat meinem Vater gesagt, Sie genössen sechzigtausend Franken Schulden und binnen kurzem würden Sie Sainte-Pélagie [Fußnote: Gefängnis in Paris.] zum Lustschloß haben. Und wenn Sie wüßten, was all diese Verleumdungen mir eintragen... All das fällt auf mich zurück. Ich rede Ihnen nicht von dem, was ich leide – mein Vater hat Blicke, die mich kreuzigen –, sondern von dem, was Sie leiden müssen, wenn das im geringsten wahr ist...« »Machen Sie sich keine Sorge um diese Albernheiten; lieben Sie mich, wie ich Sie liebe, und geben Sie mir ein paar Monate,« erwiderte Lucien, indem er seine leere Tasse auf das Tablett aus ziseliertem Silber zurückstellte. »Lassen Sie sich nicht vor meinem Vater sehen, er würde Ihnen eine Unverschämtheit sagen; und da Sie sie nicht hinnehmen würden, so wären wir verloren... Diese boshafte Marquise d'Espard hat ihm gesagt, Ihre Mutter habe bei Wöchnerinnen Krankenwache gehalten und Ihre Schwester sei Plätterin gewesen...« »Wir waren einmal im tiefsten Elend,« erwiderte Lucien, dem die Tränen in die Augen traten. »Das ist keine Verleumdung, sondern einfache Nachträgerei. Heute ist meine Schwester mehr als Millionärin, und meine Mutter ist seit zwei Jahren tot... Man hat diese Aufklärungen für den Augenblick aufgespart, in dem ich hier vor dem Erfolge stand...« »Aber was haben Sie Frau d'Espard getan?« »Ich habe die Unvorsichtigkeit begangen, bei Frau von Sérizy in Gegenwart der Herren von Bauvan und von Granville die Geschichte des Prozesses zu erzählen, den sie geführt hat, um die Entmündigung ihres Gatten, des Marquis d'Espard, durchzusetzen, und die Blanchon mir anvertraut hatte. Die Meinung des Herrn von Granville, den Bauvan und Sérizy unterstützten, hat damals die des Justizministers gewandelt. Der eine wie der andere wichen vor der Gerichtszeitung, vor dem Skandal zurück, und die Marquise bekam in der Begründung des Urteils, das dieser scheußlichen Angelegenheit ein Ende machte, ein wenig auf die Finger. Wenn Herr von Sérizy eine Indiskretion begangen hat, die die Marquise zu meiner Todfeindin machte, so habe ich doch seine Protektion, die des Generalstaatsanwalts und des Grafen Octavius von Bauvan dabei gewonnen, denn Frau von Sérizy hat ihnen gesagt, in welche Gefahr sie mich gestürzt haben, indem sie erraten ließen, aus welcher Quelle ihre Auskünfte stammten. Der Herr Marquis d'Espard war ungeschickt genug, mir einen Besuch zu machen, weil er mich als die Ursache ansah, durch die er diesen niederträchtigen Prozeß gewonnen hat.« »Ich werde Sie von Frau d'Espard befreien,« sagte Klotilde. »Und wie?« rief Lucien. »Meine Mutter wird die kleinen Espards einladen, sie sind entzückend und schon recht groß. Der Vater und seine beiden Söhne werden hier Ihr Lob singen, und wir sind sicher, ihre Mutter niemals wiederzusehen ...« »Oh, Klotilde, Sie sind anbetungswürdig, und wenn ich Sie nicht um Ihrer selbst willen liebte, so würde ich Sie um Ihres Geistes willen lieben.« »Das ist kein Geist,« sagte sie, indem sie ihre ganze Liebe auf die Lippen legte. »Adieu. Kommen Sie ein paar Tage lang nicht. Wenn Sie mich in der Kirche mit einer roten Schärpe sehen, so hat die Laune meines Vaters gewechselt. Sie finden eine Antwort am Rücken des Sessels, auf dem Sie sitzen; die wird Sie vielleicht trösten, wenn Sie uns nicht sehen... Tun Sie den Brief, den Sie mir bringen, in mein Taschentuch ...«
Dieses junge Mädchen war offenbar älter als siebenundzwanzig Jahre.
Lucien nahm in der Rue de la Planche einen Fiaker, verließ ihn auf den Boulevards, nahm bei der Madeleine einen andern und befahl ihm, in der Rue Taitbout die Einfahrt öffnen zu lassen.
Als er um elf Uhr zu Esther kam, fand er sie ganz in Tränen, aber sie war angezogen, wie sie sich anzog, um ihm ein Fest zu bereiten. Sie erwartete ihren Lucien und lag auf einem Diwan aus weißem, mit gelben
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