Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Blumen besticktem Satin, bekleidet mit einem entzückenden Hauskleid aus indischem Musselin mit kirschfarbenen Schleifen; sie war ohne Korsett, hatte die Haare einfach auf dem Kopf aufgesteckt, die Füße in hübschen Samtpantoffeln, die mit kirschfarbenem Satin gefüttert waren; alle Kerzen brannten, und der Huka war bereit; aber den ihren hatte sie nicht geraucht, er lag unangezündet vor ihr, als wollte er ein Symbol ihrer Lage geben. Als sie die Türen öffnen hörte, wischte sie sich die Tränen ab, sprang wie eine Gazelle auf und umschlang Lucien mit den Armen, als wäre sie ein Gewebe, das sich, vom Wind erfaßt, um einen Baum schlingt.
»Getrennt,« rief sie, »ist es wahr? ...« »Bah! Auf ein paar Tage,« erwiderte Lucien.
Esther ließ Lucien los und fiel wie tot auf den Diwan zurück. In solchen Lagen schwätzen die meisten Frauen wie Papageien! Ah, wie sie einen lieben!... Nach fünf Jahren stehen sie noch wie am Morgen nach dem ersten Tage des Glücks da, sie können einen nicht verlassen, sie sind wundervoll in ihrer Entrüstung, ihrer Verzweiflung, ihrer Liebe, ihrem Zorn, ihrer Reue, ihrer Angst, ihrem Kummer, ihren Ahnungen! Kurz, sie sind schön wie eine Szene von Shakespeare. Aber, das beachte man wohl, diese Frauen lieben nicht! Wenn sie all das sind, wofür sie sich ausgeben, so machen sie es, wie Esther es machte, wie es die Kinder machen, wie es die wahre Liebe macht: Esther sagte kein Wort; sie lag da, das Gesicht in den Kissen, und weinte heiße Tränen. Lucien seinerseits mühte sich, Esther aufzuheben, und sprach auf sie ein.
»Aber, Kind, wir werden nicht getrennt ... Wie! Nach vier Jahren des Glücks nimmst du eine Trennung so auf?« ... ›Ach, was habe ich denn all diesen Mädchen getan? ...‹ sagte er bei sich selber, denn er entsann sich, daß auch Coralie ihn so geliebt hatte. »Ah, gnädiger Herr, Sie sind so schön!« sagte Europa.
Die Sinne haben ihr Ideal der Schönheit. Wenn sich mit dieser so verführerischen Schönheit die Sanftheit des Charakters und die Poesie verbinden, die Lücken auszeichneten, so kann man sich die wahnsinnige Leidenschaft jener Geschöpfe vorstellen, die für die äußeren Naturgaben so außerordentlich empfänglich und in ihrer Bewunderung so naiv sind. Esther schluchzte leise und verharrte in einer Pose, die höchsten Schmerz verriet.
»Aber, kleiner Dummkopf,« sagte Lucien, »hat man dir nicht gesagt, daß es sich um mein Leben handelt?...« Bei diesem Wort, das Lucien genau berechnet hatte, richtete Esther sich wie ein wildes Tier auf; ihr gelöstes Haar umgab ihr wundervolles Gesicht wie ein Laubwerk; sie sah Lucien mit starrem Auge an. »Um dein Leben!...« rief sie, indem sie mit einer Geste, die nur Dirnen in der Gefahr haben, die Arme hob und wieder fallen ließ. »Aber ja, der Brief dieses Wilden spricht von ernsten Dingen.« Sie zog ein elendes Papier aus dem Gürtel; aber sie erblickte Europa und sagte: »Laß uns allein, meine Tochter.«
Als Europa die Tür geschlossen hatte, fuhr sie fort: »Sieh, das hat er mir geschrieben,« und sie reichte Lucien einen Brief, den Carlos eben geschickt hatte und den Lucien mit lauter Stimme las:
»Sie werden morgen früh um fünf abreisen; man wird Sie zu einem Wildhüter im Herzen des Waldes von Saint-Germain bringen. Sie werden dort ein Zimmer im ersten Stock einnehmen. Verlassen Sie dieses Zimmer nicht, bis ich es Ihnen erlaube; es wird Ihnen dort nichts fehlen. Der Wildhüter und seine Frau sind zuverlässig. Schreiben Sie Lucien nicht. Gehen Sie während des Tages nicht ans Fenster; während der Nacht können Sie unter Führung des Wildhüters spazierengehen, wenn Sie Bewegung haben möchten. Halten Sie unterwegs die Vorhänge des Wagenschlags geschlossen: es handelt sich um Luciens Leben.
Lucien wird heute abend zu Ihnen kommen, um Ihnen Lebwohl zu sagen; verbrennen Sie dies vor seinen Augen.«
Lucien verbrannte das Billett sofort an der Flamme einer Kerze. »Höre, mein Lucien,« sagte Esther, nachdem sie den Wortlaut dieses Briefes angehört hatte, wie ein Verbrecher den seines Todesurteils anhört, »ich will dir nicht sagen, daß ich dich liebe, das wäre eine Dummheit ... Jetzt scheint es mir seit bald fünf Jahren so natürlich, daß ich dich liebe, wie daß ich atme und lebe. Schon an dem Tage, an dem unter dem Schutz dieses unerklärlichen Wesens, das mich hier eingesperrt hat, wie man ein kleines merkwürdiges Tier in einen Käfig einsperrt, mein Glück begann, wußte ich, daß
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