Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
du dich verheiraten müßtest. Die Heirat ist ein notwendiger Bestandteil deines Schicksals, und Gott verhüte, daß ich der Entwicklung deines Glücks in den Weg treten sollte. Diese Heirat ist mein Tod. Aber ich werde dich nicht langweilen: ich werde es nicht wie die Grisetten machen, die sich mit Hilfe eines Kohlenbeckens töten. Davon habe ich mit einemmal genug bekommen; zweimal, das wird ekelhaft, wie Mariette sagt. Nein, ich werde weit fort gehen, aus Frankreich fort. Asien kennt die Geheimnisse ihres Landes, sie hat mir versprochen, mich zu lehren, wie man ruhig stirbt. Man sticht sich, Schluß! Alles ist getan! Ich verlange nur eins, mein angebeteter Engel: nicht getäuscht zu werden. Ich habe meinen Anteil vom Leben gehabt: ich habe seit dem Tage, an dem ich dich zum erstenmal sah, im Jahre 1824, bis heute mehr Glück genossen, als das Dasein zehn glücklicher Frauen enthält. Nimm mich also als das, was ich bin, als eine Frau, die ebenso stark wie schwach ist. Sag mir: ›Ich verheirate mich.‹ Ich verlange nichts als einen zärtlichen Abschied von dir, und du wirst nicht mehr von mir hören.«
    Nach dieser Erklärung, deren Aufrichtigkeit sich nur mit der Naivität der Gesten und des Tones vergleichen ließ, herrschte einen Augenblick Schweigen.
    »Handelt es sich um deine Heirat?« fragte sie, indem sie einen jener bezaubernden und glänzenden Blicke, die der Klinge eines Dolches glichen, in Luciens blaue Augen warf. »Wir arbeiten jetzt seit achtzehn Monaten an meiner Heirat, und sie ist noch nicht zum Abschluß gekommen,« erwiderte Lucien,» »ich weiß nicht, wann sie zum Abschluß kommen wird; aber es handelt sich nicht darum, meine liebe Kleine!... Es handelt sich um den Abbé, um mich, um dich ... Wir sind ernstlich bedroht ... Nucingen hat dich gesehen ...« »Ja,« sagte sie, »in Vincennes; er hat mich also erkannt?« »Nein,« erwiderte Lucien, »aber er ist in dich so verliebt, daß er seine Kasse für dich geben würde. Als er nach Tisch von eurer Begegnung sprach und dich schilderte, ist mir ein unwillkürliches, unvorsichtiges Lächeln entschlüpft, denn ich lebe in der Gesellschaft, wie der Wilde mitten unter den Fallen eines feindlichen Stammes. Carlos, der mir die Mühe des Nachdenkens erspart, findet diese Situation gefährlich; er übernimmt es, Nucingen an der Nase herumzuführen, wenn Nucingen es sich einfallen läßt, uns nachzuspionieren, und der Baron ist sehr wohl dazu imstande; er hat mir schon von der Ohnmacht der Polizei gesprochen. Du hast in einem alten Schornstein voller Ruß einen Brand entfacht ...« »Und was will dein Spanier beginnen?« fragte Esther ganz leise. »Ich weiß es nicht, er sagt, ich soll mich ruhig aufs Ohr legen,« erwiderte Lucien, ohne daß er es wagte, Esther anzusehen. »Wenn es so ist, gehorche ich mit jener Unterwürfigkeit des Hundes, zu der ich mich bekenne,« sagte Esther, die ihren Arm in den Luciens schob und ihn in ihr Schlafzimmer führte, indem sie zu ihm sprach: »Hast du, mein Lulu, gut gespeist bei diesem schändlichen Nucingen?« »Asiens Küche macht es einem unmöglich, noch ein Diner gut zu finden, wie berühmt der Koch des Hauses, in dem man speist, auch sei; aber wie jeden Sonntag hatte Carême das Diner bereitet.«
    Unwillkürlich verglich Lucien Esther mit Klotilde. Die Geliebte war so schön, so unwandelbar reizend, daß ihr das Ungeheuer noch nicht hatte nahen dürfen, das selbst die dauerhafteste Liebe verschlingt: die Sättigung.
    ›Wie schade‹ sagte er bei sich, ›daß man seine Frau in zwei Bänden findet! Auf der einen Seite die Poesie, die Wollust, die Liebe, die Hingebung, die Schönheit, die Zartheit ...‹ Esther stöberte umher, wie die Frauen umherstöbern, ehe sie zu Bett gehen; sie lief hin und wider; sie flatterte trällernd wie ein Schmetterling. Man hätte sie mit einem Kolibri vergleichen können.
    ›... Auf der andern den Adel des Namens, die Rasse, die Ehre, den Rang, die Kenntnis der Gesellschaft!... Und keine Möglichkeit, sie in einer einzigen Person zu vereinigen!‹ spann Lucien weiter.
    Als der Dichter am andern Morgen um sieben Uhr in diesem reizenden rosa und weißen Zimmer erwachte, war er allein. Als er geschellt hatte, eilte die sogenannte Europa herbei.
    »Was wünscht der gnädige Herr?« »Esther!« »Die gnädige Frau ist um dreiviertel fünf fortgefahren. Auf Befehl des Herrn Abbé habe ich gratis und franko ein neues Gesicht empfangen.« »Eine Frau? ...« »Nein, gnädiger Herr, eine

Weitere Kostenlose Bücher