Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Gaudissart noch irgend jemand sonst faßte je Verdacht, daß der Vater Canquoelle Lunte gerochen hätte. Man entließ die Kellner, man behielt einander ein Jahr lang im Auge, und man entsetzte sich über die Polizei, die mit dem Vater Canquoelle zusammen arbeitete, obwohl er davon sprach, das Café David zu verlassen: so sehr graue ihm vor der Polizei.
Contenson betrat das Café, verlangte ein kleines Glas Branntwein und sah den Vater Canquoelle, der damit beschäftigt war, die Journale zu lesen, nicht einmal an; nur nahm er, als er sein Glas Branntwein hinuntergegossen hatte, das Goldstück des Barons und rief den Kellner, indem er dreimal kurz auf den Tisch schlug. Die Büfettdame und der Kellner prüften das Goldstück mit einer Sorgfalt, die für Contenson sehr beleidigend war, aber ihr Mißtrauen rechtfertigte sich durch das Befremden, das allen Stammgästen das Aussehen Contensons erregte.
›Ist dieses Gold das Ergebnis eines Diebstahls oder eines Mordes?... ‹ das war der Gedanke einiger starker und klarblickender Geister, die Contenson unter der Brille her ansahen, obwohl sie scheinbar ihre Blätter lasen. Contenson, der all das sah und nie über irgend etwas erstaunte, wischte sich mit einem Tuch, das nur dreimal gestopft worden war, geringschätzig den Mund ab, nahm sein Kleingeld in Empfang, schob all die Sous in seine Geldtasche, deren einst weißes Futter ebenso schwarz war wie das Tuch der Hose, und ließ dem Kellner keinen einzigen.
»Was für ein Galgenvogel!« sagte der Vater Canquoelle zu Herrn Pillerault, seinem Nachbar. »Bah!« gab Herr Camusot dem ganzen Café zur Antwort; er allein hatte nicht das geringste Erstaunen verraten; »das ist Contenson, der rechte Arm Louchards, unseres Exekutors am Handelsgericht. Die Schelme haben vielleicht einen im Quartier zu rupfen...«
Eine Viertelstunde darauf erhob sich der Biedermann Canquoelle, nahm seinen Schirm und ging ruhig davon.
Ist es nicht nötig, hier aufzuklären, welcher furchtbare und tiefe Mensch sich unter dem Anzug des Vaters Canquoelle verbarg, genau wie der Abbé Carlos das Versteck Vautrins war? Dieser Südländer, der auf Les Canquoelles, dem einzigen Besitz seiner übrigens recht ehrenwerten Familie, geboren war, hieß Peyrade. Er gehörte in Wirklichkeit der jüngeren Linie des Hauses de la Peyrade an, einer alten, aber armen Familie der Grafschaft, die noch heute das kleine Gut La Peyrade besitzt. Er war als siebentes Kind mit sechs Franken in der Tasche zu Fuß nach Paris gekommen, und zwar im Jahre 1772, als er siebzehn Jahre alt war; ihn trieben die Fehler eines wilden Temperaments und das brutale Verlangen, es zu etwas zu bringen, das so viele Südländer in die Hauptstadt treibt, wie sie erkannt haben, daß das väterliche Haus ihnen nie die für ihre Leidenschaften nötige Rente geben kann. Wir haben die ganze Jugend Peyrades enthüllt, wenn wir sagen, daß er 1782 der Vertraute, der Heros des Generalpolizeiamts war, wo die Herren Lenoir und d'Albert, die beiden letzten Generalleutnants, ihn sehr hochschätzten. Die Revolution kannte keine Polizei, sie hatte sie nicht nötig. Die Spionage, wie sie damals verbreitet war, nannte sich Bürgersinn. Das Direktorium, dessen Regierung ein wenig regelmäßiger war als die des Wohlfahrtskomitees, sah sich gezwungen, von neuem eine Polizei einzurichten, und der erste Konsul vervollständigte die Schöpfung durch die Polizeipräfektur und das Ministerium der allgemeinen Polizei. Peyrade, der Mann der Traditionen, schuf gemeinsam mit einem Menschen namens Corentin, der übrigens, obwohl viel jünger, doch viel stärker war als Peyrade und Genie nur in den unterirdischen Abteilungen der Polizei bewies, das Personal. 1808 fanden die ungeheuren Dienste, die Peyrade leistete, ihren Lohn in seiner Berufung auf den hervorragenden Posten eines Generalpolizeikommissars zu Antwerpen. In Napoleons Vorstellung kam diese Polizeipräfektur einem Polizeiministerium gleich, das den Auftrag hatte, Holland zu überwachen. Als der Kaiser aus dem Feldzug von 1809 zurückkehrte, wurde Peyrade auf Grund einer Kabinettsorder in Antwerpen aufgehoben, zwischen zwei Gendarmen mit der Post nach Paris befördert und ins Untersuchungsgefängnis geworfen. Zwei Monate darauf verließ er seine Zelle, da sein Freund Corentin für ihn Bürgschaft leistete; aber er hatte doch drei Verhöre zu je sechs Stunden durchmachen müssen. Verdankte Peyrade seine Ungnade der fabelhaften Regsamkeit, mit der er Fouché in der
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