Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Schicksal dieses Onkels unbekannt war, blieb Peyrade ein Text der Hoffnung: man glaubte, er sei mit Millionen aus Indien helmgekehrt! Von solchen Winterabendmärchen getrieben, hatte dieser Neffe namens Theodosius eine Entdeckungsreise unternommen, um den unbekannten Onkel zu suchen.
Als Peyrade ein paar Stunden lang sein Vaterglück gekostet hatte, schritt er mit ausgewaschenen und gefärbten Haaren – sein Puder war eine Maske –, bekleidet mit einem guten dicken, blauen Tuchrock, der bis zum Kinn hinauf zugeknöpft war, eingehüllt in einen schwarzen Mantel, die Füße in groben Stiefeln mit dicken Sohlen und versehen mit einer geheimen Karte, langsamen Schrittes die Avenue Gabriel entlang, wo ihm vor den Garten des Elysée Bourbon, als alte Obsthändlerin verkleidet, Contenson entgegentrat.
»Herr von Saint-Germain,« sagte Contenson, indem er seinem ehemaligen Chef seinen Kriegsnamen gab, »ich habe durch Sie fünfhundert Franken verdient; aber ich habe hier Posto gefaßt, um Ihnen zu sagen, daß der verdammte Baron sie mir nicht gegeben hat, ohne zuvor ins Haus – die Präfektur – zu fahren und Auskünfte einzuholen.« »Ich werde dich zweifellos nötig haben,« sagte Peyrade. »Sprich mit unsern Nummern sieben, zehn und einundzwanzig. Die Leute werden wir verwenden können, ohne daß man es bei der Polizei oder auf der Präfektur merkt.«
Contenson kehrte in die Nähe des Wagens zurück, in dem Herr von Nucingen auf Peyrade wartete.
»Ich bin Herr von Saint-Germain,« sagte der Südländer zu dem Baron, indem er sich bis zum Wagenschlag erhob. »Kut, staigen Se ain,« erwiderte der Baron, der Befehl gab, zum Triumphbogen hinzufahren. »Sie sind auf der Präfektur gewesen, Herr Baron? Das ist nicht recht ... Darf man wissen, was Sie dem Herrn Präfekten gesagt haben und was er erwidert hat?« fragte Peyrade. »Ehe ich ainem Schelm wie Gondanzon sechshündert Franken kab, sollte ich doch wissen, ob er se hat verdient ... Ich hab kesagt zum Bolißeibräfekten, daß ich wollte verwenden ainen Achenten namens Beirate fier aine telikate Mission im Ausland; und ob ich könnte haben unbekrenztes Vertrauen ßu ihm. Der Bräfekt hat mir kesagt, Sie wären ainer der keschicktesten und ehrlichsten Leite. Das ist alles.« »Will mir der Herr Baron sagen, um was es sich handelt, da man ihm meinen wahren Namen offenbart hat?«
Als der Baron in seinem scheußlichen Dialekt des polnischen Juden ausführlich und wortreich Auskunft gegeben hatte über seine Begegnung mit Esther, über den Schrei des Jägers, der hinter dem Wagen gestanden hatte, und über seine vergeblichen Bemühungen, schloß er damit, daß er erzählte, was sich am Tage zuvor bei ihm ereignet hatte; er berichtete von dem Lächeln, das Lucien von Rubempré entschlüpft war, und von dem Glauben Bianchons, den auch einige Dandys geteilt hätten, an einen Verkehr zwischen der Unbekannten und diesem jungen Mann.
»Hören Sie, Herr Baron, Sie werden mir zunächst zehntausend Franken auf die Kosten einhändigen; denn für Sie handelt es sich in dieser Angelegenheit um das Leben; und da Ihr leben eine Geschäftsfabrik ist, so darf man nichts versäumen, damit Sie diese Frau finden. Ah! Sie sind erwischt!« »Ja, ich bin erwischt ...« »Wenn mehr nötig ist, so werde ich es Ihnen sagen, Baron; verlassen Sie sich auf mich,« fuhr Peyrade fort. »Ich bin kein Spion, wie Sie vielleicht glauben ... Ich war 1807 Generalpolizeikommissar in Antwerpen, und jetzt, da Ludwig XVIII. tot ist, kann ich Ihnen auch anvertrauen, daß ich sieben Jahre hindurch seine Gegenpolizei geleitet habe ... Man handelt also nicht mit mir. Sie begreifen, Herr Baron, daß man keinen Voranschlag darüber machen kann, wieviel Gewissen man zu kaufen hat, ehe man eine Angelegenheit auch nur studiert hat. Seien Sie ohne Sorge, ich komme zum Ziel. Glauben Sie aber nicht, daß Sie mich mit irgendeiner Summe zufriedenstellen können; ich will etwas anderes als Lohn ...« »Wenn es kain Gönigreich ist ...« sagte der Baron. »Es ist für Sie weniger als ein Nichts.« »Das ist kut!« »Sie kennen die Kellers?« »Kenau.« »Franz Keller ist der Schwiegersohn des Grafen von Gondreville, und der Graf von Gondreville hat gestern mit seinem Schwiegersohn bei Ihnen gespeist.« »Wer Teifel kann Ihnen kesagt haben ...?« rief der Baron. »Schorsch wird es sei; der schwatzt immer.« Peyrade brach in ein Lachen aus. Dem Bankier kam ein seltsamer Verdacht über seinen Bedienten, als er dieses Lächeln
Weitere Kostenlose Bücher