Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
verdienen.« »Was ist es? Politik?« »Nein, eine Kinderei! Der Baron von Nucingen, Sie wissen, dieser alte patentierte Dieb wiehert einer Frau nach, die er im Wald von Vincennes gesehen hat; und man muß sie ihm auffinden, oder er stirbt vor Liebe... Man hat gestern eine ärztliche Konsultation abgehalten, nach dem, was mir sein Kammerdiener gesagt hat... Ich habe ihm unter dem Vorwand, ich wolle ihm das Liebchen suchen, schon tausend Franken aus der Nase gezogen.« Und Contenson erzählte die Begegnung Nucingens und Esthers, indem er hinzufügte, der Baron habe einige neue Angaben zu machen.
»Geh,« erwiderte Peyrade, »wir werden diese Dulzinea finden, sag dem Baron, er solle heute abend im Wagen auf die Champs Elysées kommen, in die Avenue Gabriel, an der Ecke der Allee von Marigny.«
Peyrade setzte Contenson vor die Tür und pochte bei seiner Tochter, wie man pochen mußte, um eingelassen zu werden. Er trat freudig ein, denn der Zufall hatte ihm ein Mittel zugeworfen, endlich die Stellung, nach der er sich sehnte, zu erhalten. Er warf sich in einen guten Voltairesessel und sagte zu seiner Tochter, nachdem er sie zuvor auf die Stirn geküßt hatte: »Spiele mir etwas vor.«
Lydia spielte ihm ein Stück vor, das Beethoven für das Piano geschrieben hatte, »Das hast du hübsch gespielt, mein kleines Schäfchen,« sagte er, indem er seine Tochter zwischen die Knie zog, »Weißt du, daß wir einundzwanzig Jahr alt sind? Wir müssen heiraten, denn unser Vater ist über siebzig alt ...« »Ich bin hier glücklich,« erwiderte sie. »Du liebst nur mich? Aber ich bin doch so häßlich und alt!« sagte Peyrade. »Aber wen soll ich denn lieben?« »Ich speise bei dir, mein kleines Schäfchen; sag Katt Bescheid. Ich denke daran, uns anders einzurichten; ich will eine Stellung annehmen und dir einen Gatten suchen, der deiner würdig ist ... irgendeinen guten jungen Mann, der Talent hat und auf den du eines Tages stolz sein kannst ...« »Ich habe erst einen gesehen, der mir als Gatte gefallen hätte ...« »Du hast schon einen gesehen? ...« »Ja, in den Tuilerien,« erwiderte Lydia; »er ging vorüber, er hatte der Gräfin von Sérizy den Arm gereicht.« »Er heißt? ...« »Lucien von Rubempré ... Ich saß mit Katt unter einer Linde und dachte an nichts. Neben mir saßen zwei Damen, die untereinander sagten: ›Das ist Frau von Serizy und der schöne Lucien von Rubempré.‹ Ich sah mir das Paar an, das auch die beiden Damen ansahen. ›Ah, meine Liebe‹ sagte die andere, ›es gibt Frauen, die recht glücklich sind. Der da läßt man alles hingehen, weil sie eine geborene von Ronquerolles ist und ihr Mann die Macht hat.‹ ›Aber, meine Liebe‹ erwiderte die erste, ›Lucien kostet sie recht viel.‹ ... Was heißt das, Papa?« »Das sind Dummheiten, wie die Leute aus der Gesellschaft sie sagen,« gab Peyrade seiner Tochter mit gutmütiger Miene zur Antwort. »Vielleicht spielten sie auf politische Ereignisse an.« »Nun, du hast mich gefragt, ich antworte dir. Wenn du mich verheiraten willst, so suche mir einen Gatten, der diesem jungen Mann ähnlich sieht ...« »Kind,« erwiderte der Vater, »beim Mann ist die Schönheit nicht immer ein Zeichen der Güte. Junge Leute mit angenehmem Äußern begegnen im Anfang ihres Lebens keinerlei Schwierigkeiten, sie entfalten keinerlei Talent, sie werden durch das Entgegenkommen der Welt verdorben, und sie müssen nachher die Zinsen für ihre Eigenschaften zahlen! ... Ich möchte dir das suchen, was die Bürger, die Reichen und die Dummköpfe ohne Unterstützung und Schutz lassen ...« »Wer ist das, Vater?« »Der unbekannte Mann von Talent ... Aber geh, mein liebes Kind, ich bin imstande, alle Dachkammern von Paris zu durchstöbern und dein Programm Zu erfüllen, indem ich dir einen Mann zu lieben gebe, der ebenso schön ist wie der schlechte Kerl, von dem du redest, der aber zugleich eine Zukunft hat, einen jener Leute, die vorbestimmt sind für den Ruhm und das Glück ... Oh, daran hatte ich gar nicht mehr gedacht! Ich muß eine Herde von Neffen haben, und unter ihrer Zahl findet sich vielleicht einer, der deiner würdig ist! ... Ich will in die Provence schreiben oder schreiben lassen!«
Seltsam! In ebendiesem Augenblick kam ein junger Mann, der vor Hunger und Ermattung fast tot war, aus dem Departement Vaucluse, und er zog ein durch das Italienische Tor; es war ein Neffe des Vaters Canquoelle auf der Suche nach seinem Onkel. In den Träumen der Familie, der das
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