Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Bewunderung, die Peyrade für Corentin empfand. Dieser ungeheuer langbeinige Koloß, der keine starke Brust und nicht zuviel Fleisch auf den Knochen hatte, ging ernsten Schrittes auf seinen beiden Stelzen umher. Nie bewegte sich die Rechte, ohne daß auch das rechte Auge die äußern Umstände mit jener ruhigen Geschwindigkeit prüfte, wie sie dem Dieb und dem Spion eigen ist. Das linke Auge ahmte dem rechten nach. Dürr, beweglich, zu jeder Stunde zu allem bereit, so wäre nach Jakobs Worten Paccard ohne jenen vertrauten Feind, den man den Branntwein der Helden nennt, vollkommen gewesen, da er alle Talente, die ein Mensch, der mit der Gesellschaft im Kampf lebt, braucht, im höchsten Grade besaß; doch war es dem Meister gelungen, den Sklaven zu überreden, daß er dem Feuer nur einen Teil von sich preisgab und also nur abends trank. Wenn Paccard nach Hause kam, trank er das flüssige Gold hinunter, das ihm die dickbäuchige Steingutflasche aus Danzig eingoß.
»Man wird das Auge offen halten,« sagte Paccard, nachdem er den gegrüßt hatte, den er seinen Beichtvater nannte, und indem er seinen prachtvollen Federhut aufsetzte.
Durch diese Ereignisse kam es dahin, daß sich die Leute, die jeder in seiner Sphäre, so stark waren wie Jakob Collin, Peyrade und Corentin, auf einem und demselben Boden in einen Kampf verwickelt sahen, in dem sie ihr Genie entfalten konnten und in dem ein jeder für seine Leidenschaft oder seine Interessen kämpfte. Es war eine jener furchtbaren Schlachten, von denen man nichts weiß, in denen aber an Talent, an Haß, an Gereiztheit, an Märschen und Gegenmärschen und Listen genau so viel Kraft aufgewandt wird, wie nötig ist, um ein Vermögen zu begründen. Menschen und Mittel, das alles war auf seiten Peyrades Geheimnis; sein Freund Corentin unterstützte ihn bei dem ganzen Feldzug, der für sie eine Kinderei war. Daher schweigt auch die Geschichte über diesen Gegenstand, wie sie über die wahren Ursachen vieler Revolutionen schweigt.
Aber dieses ist das Ergebnis: Fünf Tage nach der Unterredung des Herrn von Nucingen mit Peyrade stieg ein Mann von etwa fünfzig Jahren, mit jenem Bleiweißgesicht, das das Leben in der Gesellschaft den Diplomaten verleiht, bekleidet mit blauem Tuch, von ziemlich eleganter Haltung und annähernd der Erscheinung eines Staatsministers, aus einem prachtvollen Kabriolett, indem er seinem Bedienten die Zügel zuwarf. Er fragte den Kammerdiener, der auf einer Bank der Vorhalle gesessen hatte und ihm ehrerbietig die wundervolle Glastür aufhielt, ob der Baron von Nucingen zu sprechen wäre.
»Der Name des Herrn?« fragte der Bediente. »Sagen Sie dem Herrn Baron, ich käme aus der Avenue Gabriel,« erwiderte Corentin. »Wenn Gäste da sind, so hüten Sie sich, diesen Namen laut zu nennen; man würde Sie vor die Tür setzen.«
Eine Minute darauf kam der Kammerdiener zurück und führte Corentin durch die innern Gemächer in das Arbeitszimmer des Barons.
Corentin tauschte einen undurchdringlichen Blick gegen einen ebensolchen des Bankiers aus, und sie grüßten sich, wie es sich ziemte.
»Herr Baron,« sagte er, »ich komme im Namen Peyrades.« »Kut,« sagte der Baron, indem er aufstand, um die Riegel vor beide Türen zu schieben. »Die Geliebte des Herrn von Rubempré wohnt in der Rue Taitbout, in der ehemaligen Wohnung des Fräuleins von Bellefeuille, der ehemaligen Geliebten des Herrn von Granville, des Generalstaatsanwalts.« »Ah, so ticht bei mir!« rief der Baron, »wie gomisch!« »Es wird mir nicht schwer zu glauben, daß Sie wahnsinnig in diese prachtvolle Person verliebt sind; ich habe sie mit Vergnügen gesehen,« erwiderte Corentin. »Lucien ist so eifersüchtig auf dieses Mädchen, daß er ihr verbietet, sich zu zeigen; und er wird sehr von ihr geliebt, denn in den vier Jahren, seit sie der Bellefeuille in ihrem Mobiliar und ihrem Stand gefolgt ist, haben weder die Nachbarn noch der Pförtner, noch die Mieter des Hauses sie je erblicken können. Das Liebchen fährt nur nachts spazieren. Wenn sie aufbricht, sind die Vorhänge des Wagenschlags herabgelassen, und die gnädige Frau ist verschleiert. Luciens Gründe, weshalb er diese Frau verbirgt, bestehen nicht nur in der Eifersucht: er soll Klotilde von Grandlieu heiraten, und er ist gegenwärtig der Günstling der Frau von Sérizy, Natürlich hängt er sowohl an seiner Prunkgeliebten wie an seiner Braut. Sie sind also Herr der Situation, denn Lucien wird sein Vergnügen seinen Interessen und
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