Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Falleix, der Bruder Martin Falleix', der Nachfolger Julius Desmarets, verschwunden war. Jakob Falleix war der offizielle Wechselmakler des Hauses Nucingen. Im Einverständnis mit du Tillet und den Kellers hatte der Baron den Ruin dieses Mannes ebenso kühl heraufbeschworen, als hätte es sich darum gehandelt, zu Ostern ein Lamm zu schlachten.
»Er gonnte sich nicht halten,« sagte der Baron ruhig.
Jakob Falleix hatte dem Börsenwucher ungeheure Dienste geleistet. Während einer Krisis hatte er noch vor ein paar Monaten ›den Platz gerettet‹, indem er ein verwegenes Manöver ausführte. Aber Dankbarkeit von den Lüchsen verlangen, hieße das nicht, im Winter die Wölfe der Ukraine rühren wollen?
»Der arme Mensch!« sagte der Wechselmakler; »er war so wenig auf diese Entwicklung gefaßt, daß er seiner Geliebten in der Rue Saint-Georges noch ein kleines Haus möbliert hatte; er hat hundertfünfzigtausend Franken für Gemälde und Mobiliar ausgegeben. Er liebte Frau du Val-Noble so sehr!... Jetzt muß die Frau all das im Stich lassen... Alles ist noch unbezahlt.« ›Kut, kut!‹ sagte Nucingen bei sich selber, ›da haben wir aine Kelegenheit, maine Verluste der Nacht wieder ainßupringen.‹ »Er hat nichts peßahlt?« fragte er den Wechselmakler. »Oh,« versetzte der Agent, »welches wäre der ungehobelte Lieferant, der Jakob Falleix keinen Kredit gegeben hätte? Es scheint, das Haus hat einen auserlesenen Keller. Nebenbei, das Haus ist zu verkaufen, er wollte es erstehen. Der Mietsvertrag lautet auf seinen Namen. Was für eine Dummheit! Jetzt wird das Silberzeug, das Mobiliar, die Weine, der Wagen und die Pferde – alles wird zur Masse geschlagen, und was werden die Gläubiger davon haben?« »Gommen Se morgen,« sagte Nucingen, »dann hab ich mir das alles ankesehen, und fenn man nicht Gongurs eröffnet und die Tinge kütlich bailegt, werd ich Ihnen keben den Auftrag, ainen verninftigen Brais fier das Mopiliar zu pieten; den Mietsvertrag werd ich iebernehmen...« »Das wird sich sehr gut machen lassen,« sagte der Wechselmakler. »Gehen Sie heute morgen hin. Sie werden einen der Kompagnons bei den Lieferanten finden, die sich gern ein Vorzugsrecht schaffen möchten; aber die Val-Noble hat ihre Rechnungen, die auf den Namen Falleix lauten.«
Der Baron von Nucingen schickte auf der Stelle einen seiner Kommis zu seinem Notar. Jakob Falleix hatte ihm von diesem Hause gesprochen, das höchstens sechzigtausend Franken wert war; und er wollte sofort den Besitz antreten, um wegen der Mieten ein Pfandvorrecht zu haben.
Der Kassier – der ehrliche Mensch – kam, um zu fragen, ob sein Herr bei dem Bankrott etwas verlöre. »Im Kegenteil, main kuter Wolfkang, ich werde wieder einpringen hünderttausend Franken.« »Und wie?« »Ah, ich werde gaufen das glaine Haus, das der arme Teifel Walleix seit ainem Jahr fier saine Keliepte ainrichtete. Ich werde begommen das Kanze, wenn ich den Kläubikern biete finfzigtausend Franken; und Gartod, mein Nodar, begommt mainen Auftrag fier das Haus, denn der Besitzer sitzt in der Glemme... Ich hab das kewußt, aber ich hatte mainen Gopf nicht mehr. Pald soll maine köttliche Esder ain glaines Balais pewohnen... Walleix hat es mir keßaigt: es ist funderpar, und kanz nah bei... Das paßt mir wie ain Hantschuh.«
Der Konkurs Falleix zwang den Baron, an die Börse zu gehen; aber es war ihm unmöglich, die Rue Saint-Lazare zu verlassen, ohne daß er in die Rue Taitbout einbog; er litt schon darunter, daß er ein paar Stunden ohne Esther verbracht hatte; er hätte sie am liebsten an seiner Seite behalten. Der Gewinn, den er aus der Masse seines Wechselmaklers zu erzielen gedachte, machte ihm den Verlust der vierhunderttausend Franken, die bereits ausgegeben waren, äußerst leicht. Er war entzückt, ›sainem Engel‹ den Umzug aus der Rue Taitbout in die Rue Saint-Georges melden zu können; denn dort würde sie in einem ›glainen Balais‹ sein und ihrem Glück würden sich keine Erinnerungen entgegenstellen; so schien ihm denn das Pflaster unter den Füßen sanft, er schritt dahin wie ein junger Mensch, war befangen im Traum eines solchen. An der Ecke der Rue des Trois-Frères sah der Baron mitten in seinem Traum und mitten auf dem Pflaster mit verstörtem Gesicht Europa auf sich zukommen.
»Wohin willst du?« fragte er. »O gnädiger Herr, ich war auf dem Wege zu Ihnen. Sie hatten ganz recht, gestern! Ich sehe jetzt ein, daß die arme gnädige Frau auf ein paar Tage hätte
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