Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
kaltzumachen, und müßt' ich unter die Sense!‹
Der Präsident des Gerichtshofs versuchte zwar, Prudentia Servien zu beruhigen, indem er ihr die Stütze und das Interesse der Justiz versprach; aber das arme Kind wurde von so tiefem Schrecken befallen, daß sie erkrankte und fast ein Jahr lang im Spital blieb. Die Justiz ist ein Vernunftwesen, das dargestellt wird von einer Anzahl von Individuen, die sich fortwährend erneuern und deren gute Absichten und Erinnerungen wie sie selbst außerordentlich wandelbar sind. Polizei und Gerichte können Verbrechen niemals verhindern; sie sind dazu erfunden, sie als vollendete Tatsachen hinzunehmen. In dieser Hinsicht wäre eine Vorbeugungspolizei eine Wohltat für das Land; aber das Wort Polizei schreckt heute den Gesetzgeber, der nicht mehr zwischen den Worten ›regieren‹, ›verwalten‹ und ›Gesetze geben‹ zu unterscheiden weiß. Der Gesetzgeber neigt dazu, alles in den Staat hineinzuziehen, als könnte der handeln. Der Sträfling müßte immerfort an sein Opfer denken und sich rächen, wenn die Justiz weder an ihn noch an sie denken würde. Prudentia, die ihre Gefahr instinktiv, im großen und ganzen, wenn man will, begriff, verließ Valenciennes und kam mit siebzehn Jahren nach Paris, um sich dort zu verbergen. Sie übte dort vier Berufe aus, deren bester der einer Statistin bei einem kleinen Theater war. Paccard begegnete ihr, und sie erzählte ihm ihr Unglück. Paccard, Jakob Collins rechter Arm und Sklave, sprach seinem Herrn von Prudentia; und als der Meister eine Sklavin brauchte, sagte er zu ihr: ›Wenn du mir dienen willst, wie man dem Teufel dienen muß, so werde ich dich von Durut befreien.‹
Durut war der Sträfling, das Damoklesschwert, das über dem Kopf der Prudentia Servien hing. Ohne diese Einzelheiten hätten manche Kritiker wohl Europas Ergebenheit ein wenig phantastisch gefunden. Und niemand hätte den Theatercoup begriffen, den Carlos herbeiführen wollte.
»Ja, meine Tochter, du kannst nach Valenciennes zurückkehren ... Da, lies!« Und er reichte ihr das Zeltungsblatt vom Tage vorher, indem er ihr mit dem Finger den folgenden Artikel zeigte: »Toulon. Gestern fand die Hinrichtung Johann Franz Duruts ... Schon am frühen Morgen mußte die Garnison usw.«
Prudentia ließ die Zeitung fallen, ihre Beine gaben unter dem Gewicht ihres Körpers nach; sie fand das Leben wieder, denn wie sie sagte, hatte sie seit Duruts Drohung am Brot keinen Geschmack mehr gefunden.
»Du siehst, ich habe mein Wort gehalten. Ich habe vier Jahre gebraucht, um Duruts Kopf zu Fall zu bringen, indem ich ihn in eine Schlinge lockte ... Nun also, vollende hier mein Werk, und du sollst in deiner Heimat Inhaberin eines Geschäftchens sein, mit einem Vermögen von zwanzigtausend Franken und als Frau Paccards, dem ich als Pension die Tugend gestatte.«
Europa nahm die Zeitung wieder auf und las mit belebten Augen all die Einzelheiten, wie Zeitungen sie, ohne dessen müde zu werden, seit zwanzig Jahren über die Hinrichtung der Sträflinge bringen: sie las von dem imposanten Schauspiel, dem Geistlichen, der noch stets den Sühnenden bekehrt hat, dem alten Verbrecher, der seine ehemaligen Kollegen ermahnt, von den aufgeprotzten Geschützen und den knienden Verbrechern; und schließlich folgten die banalen Reflexionen, die nichts an der Verwaltung des Bagnos ändern, das von achtzehntausend Verbrechern wimmelt.
»Wir müssen Asien wieder ins Haus bringen,« sagte Carlos. Asien trat vor; sie verstand nichts von der Pantomime Europas. »Um sie hier wieder zur Köchin zu machen, werdet ihr zunächst dem Baron ein Diner servieren, wie er es noch nie gegessen hat,« fuhr er fort; »dann werdet ihr ihm sagen, Asien habe ihr Geld im Spiel verloren und wieder Dienste genommen. Einen Jäger werden wir nicht brauchen: Paccard wird Kutscher; Kutscher verlassen ihren Bock nicht; und da sie dort kaum zugänglich sind, so wird ihn die Spionage dort weniger leicht fassen. Die gnädige Frau wird ihm befehlen, eine gepuderte Perücke und einen dicken, betreßten Filzdreispitz zu tragen; das wird ihn verändern; übrigens werde ich ihm Runzeln malen.«
»Werden wir Diener bei uns haben?« fragte Asien schielend. »Wir werden ehrliche Leute nehmen,« erwiderte Carlos. »Lauter schwache Köpfe,« sagte die Mulattin, »Wenn der Baron ein Hotel mietet, so hat Paccard einen Freund, der zum Pförtner taugt,« fuhr Carlos fort. »Dann brauchen wir nur noch einen Lakaien und ein Küchenmädchen;
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