Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
daß dem Vermögen der Einzelnen Steuern auferlegt werden. Es werden sehr wenig neue Werte in den Gesamtschatz der Erdkugel eingeführt. Jeder neue wucherische Aufkauf bedeutet eine neue Ungleichheit in der allgemeinen Verteilung. Was der Staat verlangt, gibt er zurück; aber was ein Haus Nucingen nimmt, das behält es. Diese schlaue Finte entgeht den Gesetzen aus demselben Grunde, der aus Friedrich II. einen Jakob Collin, einen Mandrin gemacht hätte, wenn er, statt mit Schlachten auf die Provinzen einzuwirken, im Schmuggel oder in beweglichen Werten gearbeitet hätte. Die europäischen Staaten zu zwingen, daß sie Anleihen zu zwanzig oder zu zehn Prozent aufnehmen, diese zehn oder zwanzig Prozent mit dem Gelde des Publikums zu verdienen, die Industrien im großen zu prellen, indem man sich der Rohstoffe bemächtigt, dem Gründer eines Geschäfts einen Strick hinzureichen, um ihn überm Wasser zu halten, bis man seine scheintote Unternehmung aufgefischt hat, kurz, all diese gewonnenen Schlachten der Taler bilden die hohe Politik des Geldes. Sicherlich kommen sowohl für den Bankier wie für den Eroberer Gefahren vor; aber es gibt so wenig Leute, die imstande sind, solche Kämpfe durchzuführen, daß die Schafe nichts damit zu tun haben. Diese großen Dinge spielen sich zwischen den Hirten ab. Da ferner jene, die von der Börse ausgeschlossen werden, sich des Fehlers schuldig gemacht haben, daß sie zuviel gewinnen wollten, nimmt man im allgemeinen sehr wenig Anteil an dem Unglück, das durch die Berechnungen der Nucingens verursacht wird. Wenn ein Spekulant sich eine Kugel in den Kopf schießt, wenn ein Geldmakler die Flucht ergreift, wenn ein Notar das Vermögen von hundert Familien entführt, was schlimmer ist, als wenn man einen Menschen tötet, wenn ein Bankier liquidiert – all diese Katastrophen, die man in Paris in wenigen Monaten vergißt, werden bald verschlungen von dem fast meergleichen Wogen der großen Stadt. Die ungeheuren Vermögen eines Jakob Coeur, der Medicis, eines Ango von Dieppe, eines Auffredi von La Rochelle, der Fugger, der Tiepolos, der Corners wurden ehedem auf ehrliche Weise erworben vermöge der Privilegien, die der Unwissenheit in betreff der Herkunft aller kostbaren Waren entsprangen. Aber heute ist das geographische Wissen so tief in die Massen gedrungen, die Konkurrenz hat die Verdienste so scharf umgrenzt, daß jedes schnell erworbene Vermögen entweder die Wirkung eines Zufalls oder das Ergebnis eines legalen Diebstahls ist. Verführt durch schmähliche Beispiele, hat sich, vor allem seit den letzten zehn Jahren, auch der niedere Handel der perfiden Begriffe des Großhandels bemächtigt, und zwar durch heimtückische Attentate auf die Rohprodukte. Wo immer die Chemie geübt wird, trinkt man keinen reinen Wein mehr; daher erliegt die Weinindustrie. Man verkauft verfälschtes Salz, um den Fiskus zu hintergehen. Die Gerichte erschrecken vor dieser allgemeinen Unredlichkeit. Jetzt steht der französische Handel vor der ganzen Welt als verdächtig da, und England wird in gleichem Maße demoralisiert. Das Übel beruht bei uns auf dem politischen Gesetz. Die Verfassung hat die Regierung des Geldes proklamiert, der Erfolg wird zum letzten Richter einer atheistischen Zeit. Daher ist auch die Verderbtheit der höheren Sphären, trotz alles blendenden Glanzes und seiner Scheingründe, unendlich viel scheußlicher, als die unvornehme und gewissermaßen persönliche Verderbtheit der unteren Kreise, von der gewisse Einzelheiten sich im vorliegenden Zusammenhange mit solcher immerhin fürchterlichen Komik darbieten. Die Regierung, die vor jedem neuen Gedanken zurückschreckt, hat die Elemente der zeitgenössischen Komik vom Theater verbannt. Die Bourgeoisie, die weniger liberal ist als Ludwig XIV., zittert davor, ihre ›Hochzeit Figaros‹ zu sehen; sie verbietet, den politischen ›Tartuffe‹ zu spielen; und sicherlich würde sie heute ›Turcaret‹ nicht spielen lassen, denn Turcaret selbst ist zum Souverän geworden. Hinfort wird die Komödie erzählt, und das Buch wird zu einer, wenn auch weniger rasch wirkenden, so doch sicherern Waffe der Dichter.
Während jenes Morgens, während des Hin und Her der Audienzen, der erteilten Befehle und der wenige Minuten dauernden Besprechungen, die aus Nucingens Arbeitszimmer eine Art Vorhalle der Finanz machten, meldete ihm einer seiner Wechselmakler, daß ein Mitglied der Gesellschaft, eins der geschicktesten, eins der reichsten, nämlich Jakob
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