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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Lucien zu erblicken meinte, und sie sah Nucingen. »Oh, wie du mich quälst!« sagte sie. »Es gab nur dieses Mittel, um den Schein zu erwecken, als beachteten Sie einen armen alten Mann, der Ihre Schulden bezahlen wird,« erwiderte Europa; »denn jetzt werden sie alle bezahlt.« »Welche Schulden?« rief dieses Geschöpf, das nur daran dachte, seine Liebe festzuhalten, die ihm furchtbare Hände entrissen. »Die, die Herr Carlos für die gnädige Frau gemacht hat.« »Wie? Wir haben doch schon fast vierhundertfünfzigtausend Franken!« rief Esther. »Sie haben noch für weitere hundertfünfzigtausend Franken Schulden. Aber der Baron hat all das sehr hübsch hingenommen... Er will Sie hier wegnehmen und in ein ›glaines Balais‹ bringen... Meiner Treu! Unglück haben Sie nicht! An Ihrer Stelle würde ich mir, da Sie diesen Menschen einmal am rechten Ende halten, sobald Sie Carlos befriedigt haben, ein Haus und Renten geben lassen. Die gnädige Frau ist ja die schönste Frau, die ich je gesehen habe, und auch die reizvollste; aber die Häßlichkeit kommt so schnell. Ich bin auch frisch und schön gewesen, und jetzt ...? Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt, fast so alt wie die gnädige Frau, und ich sehe zehn Jahre älter aus... Eine Krankheit genügt... Aber wenn man ein Haus in Paris besitzt und seine Renten, so fürchtet man nicht mehr, auf der Straße zu enden...«
    Esther hörte Europa, Eugenie, Prudentia Servien nicht mehr zu. Der Wille eines Menschen, der das Genie der Verderbtheit besaß, hatte also Esther mit der gleichen Kraft in den Kot zurückgeschleudert, mit der er sie daraus hervorgezogen hatte. Wer die Liebe in ihrer Unendlichkeit kennt, weiß, daß man ihre Genüsse nicht erlebt, wenn man nicht auch ihre Tugenden anerkennt. Seit der Szene in ihrer Mansarde der Rue de Langlade hatte Esther ihr altes Leben vollständig vergessen. Sie hatte bisher sehr tugendhaft gelebt, ganz eingeschlossen in ihre Leidenschaft. Daher hatte auch der kluge Verführer das Talent gezeigt, alles so einzufädeln, daß das arme Mädchen, getrieben von ihrer Ergebenheit, nur noch schon vollzogenen Halunkenstreichen oder solchen, die im Begriff standen vollzogen zu werden, ihre Zustimmung zu geben hatte. Diese Feinheit zeigt die Überlegenheit des Verführers und gibt zugleich einen Fingerzeig über das Verfahren, durch das er Lucien unterworfen hatte. Furchtbare Zwangslagen schaffen, die Mine legen, sie mit Pulver füllen und im kritischen Augenblick zum Komplicen sagen: ›Ein Zucken mit dem Kopf, und alles fliegt in die Luft!‹ ... Früher hatte Esther, vollgesogen von der Moral, die den Kurtisanen eigen ist, all diese Späße so natürlich gefunden, daß sie ihre Rivalinnen nur danach bemaß, wieviel sie einen Menschen auszugeben zwangen. Vernichtete Vermögen sind die Rangstreifen auf dem Ärmel dieser Geschöpfe. Carlos hatte sich nicht getäuscht, wenn er auf die Erinnerungen Esthers zählte. Diese nicht nur von solchen Frauen, sondern auch von Verschwendern tausendmal angewandten Kriegslisten beunruhigten Esthers Geist nicht. Das arme Mädchen fühlte nur seine Erniedrigung. Sie liebte Lucien, sie wurde die offizielle Mätresse des Barons von Nucingen: darin lag für sie alles. Mochte der falsche Spanier das Geld des Kaufschillings nehmen, mochte Lucien den Bau seines Glücks mit den Steinen vom Grabe Esthers errichten, mochte eine einzige Nacht der Lust dem alten Bankier mehr oder minder viele Tausendfrankenscheine kosten, mochte Europa ihm durch mehr oder minder geistreiche Mittel ein paar hunderttausend Franken entlocken – um all das kümmerte sich diese verliebte Dirne nicht. Der Krebs, der ihr am Herzen fraß, bestand hierin: fünf Jahre lang hatte sie in ihren eigenen Augen weiß wie ein Engel dagestanden! Sie liebte, sie war glücklich, sie hatte nicht die geringste Untreue begangen. Diese schöne, reine Liebe sollte beschmutzt werden. Ihr Geist stellte nicht den Gegensatz ihres schönen, unbekannten Lebens und ihres künftigen unsauberen Lebens fest. Es war bei ihr weder Berechnung noch Poesie, sie empfand ein Gefühl von unsäglich drückender Gewalt: sie war weiß und wurde schwarz; sie war rein und wurde unrein,« sie war edel und wurde unedel. Sie war aus eigenem Willen hermelinweiß gewesen, und also schien ihr die moralische Besudelung unerträglich. Deshalb war ihr auch, als der Baron ihr mit seiner Liebe drohte, der Gedanke gekommen, sich zum Fenster hinauszuwerfen. Lucien hatte unbedingte Liebe gefunden,

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