Glanz
würde. Auch der Versuch, Eric heimlich aus der Klinik zu holen, war abzusehen gewesen, nachdem ich das schon einmal durchgezogen hatte.
Mir erschien es plötzlich offensichtlich, dass das Fenster im Erdgeschoss nicht zufällig angelehnt gewesen war. Und war es nicht geradezu absurd anzunehmen, ich könnte mit einem Rollstuhl aus einer rund um die Uhr überwachten, mit etlichen Kameras gesicherten Klinik entkommen, ohne dass es irgendjemand merkte?
Aber wieso wollten sie, dass ich mit Eric entkam?
Der Alptraum fiel mir ein: das brennende Auto, Erics flammenverzerrtes Gesicht hinter der Scheibe. Und ich begriff: Sie wollten uns beide umbringen, auf eine denkbar unverdächtige Art – durch einen fingierten Verkehrsunfall.
|374| Die Kehle schnürte sich mir zu, als mir klar wurde, wie leicht es für eine Geheimorganisation sein musste, mich auf Schritt und Tritt zu beobachten. Sie hatten mich bewusstlos in meine Wohnung verfrachtet. Sicher hatten sie in der Zwischenzeit jede Menge versteckte Kameras angebracht und Leute in der Nähe meiner Wohnung postiert, die mich rund um die Uhr beobachteten. Es war ein Kinderspiel gewesen, mir zur Mietwagenfirma zu folgen und mich bis Cambridge zu beschatten.
Hatten sie womöglich das Fahrzeug manipuliert, während ich in die Klinik eingedrungen war? Die Bremsschläuche oder die Lenkung so verändert, dass sie nach gewisser Zeit ausfielen?
Nein, es war zu unsicher, dass wir bei so einem Unfall tatsächlich sterben würden, und falls nicht, konnte man solche Manipulationen nachweisen. Sie würden geschickter vorgehen. Sie würden mich in eine Situation treiben, die sie kontrollierten. Ein Fahrzeug würde mich von der Straße abdrängen, an einer Stelle, an der ich keine Chance hatte zu entkommen. Unfall mit Fahrerflucht würde in der Zeitung stehen – eine kleine Meldung irgendwo im Lokalteil. Vielleicht würde der Reporter erwähnen, dass mein Geisteszustand zum Unfallzeitpunkt fraglich war. Eine Verkettung unglücklicher Umstände, die zum tragischen Tod einer alleinstehenden, verzweifelten Mutter und ihres einzigen Kindes geführt hatte.
Mit zitternden Fingern ließ ich den Wagen an und steuerte zurück auf den Highway. Was sollte ich tun? Wenn ich von der normalen Route nach New York abwich, würden sie es sofort wissen. Sie würden ihre Pläne ändern und mich auf andere, vielleicht weniger subtile Art umbringen. Ein unvorhergesehener Zwischenfall, aber kein ernstes Problem für Menschen, die den Tod von unschuldigen |375| Kindern für ihre perversen Experimente in Kauf nahmen.
Am besten blieb ich hier auf dem Highway zwischen den vielen unbeteiligten Menschen, die zusammen mit mir nach Südwesten fuhren. Mein einziger Vorteil war, dass ich nun wusste, was sie vorhatten – ein Umstand, den sie nicht kannten, solange ich mich weiterhin so verhielt, wie sie es erwarteten. Vielleicht konnte ich die Falle, die sie mir gestellt hatten, rechtzeitig erkennen, ihr ausweichen und den Überraschungseffekt nutzen, um ihnen zu entkommen.
Der Morgen graute. Nervös beobachtete ich die Scheinwerfer der Wagen im Rückspiegel. Wann immer ich absichtlich langsam fuhr, überholten mich die Autos hinter mir. Dennoch war ich sicher, dass sie mir folgten.
Plötzlich klingelte mein Handy, das ich auf den Beifahrersitz gelegt hatte. Ich tastete danach, doch ich war so nervös, dass es mir aus der Hand glitt und unter den Sitz rutschte.
Ich bremste scharf, was den Fahrer hinter mir zu einem empörten Hupen veranlasste, und fuhr an den Straßenrand.
Immer noch klingelte es. Ich betete, dass Emily nicht auflegen würde, bis ich das Handy fand.
Endlich hielt ich es in der Hand und nahm das Gespräch an. »Demmet?«
Es schien niemand am Apparat zu sein. Ein leises Rauschen, ein regelmäßiges Piepen im Hintergrund.
»Hallo? Emily, bist du das?«
Keine Antwort.
Was sollte das? War sie irgendwie zufällig auf die Anruftaste ihres Handys geraten? Oder hatte sie meine Nummer heimlich gewählt und konnte nicht sprechen?
|376| Ich lauschte konzentriert. Aber da waren nur dieses gleichmäßige Rauschen und Piepen. Es klang wie die Überwachungsgeräte, die neben Erics Bett gestanden hatten. War Emily im Krankenhaus?
»Emily!«, rief ich. »Kannst du mich hören?«
Ein Geräusch erklang, ein heiseres Krächzen.
»Hallo? Ich kann dich nicht verstehen!«
Das Geräusch wurde lauter, und jetzt erkannte ich, dass es kein menschlicher Laut war. Es war eindeutig die kalte Stimme einer Krähe. Sie
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