Glanz
werden wir ja sehen!« Ich schüttelte seine Hand ab, öffnete die Tür zum Fond des BMW und rüttelte meinen Sohn an der Schulter. »Eric, wach auf! Wir haben das Tor gefunden! Es ist Zeit, dieses Spiel zu beenden!«
Er zeigte keine Reaktion. Seine Augen waren geschlossen, sein Gesicht entspannt wie in tiefem, friedlichem Schlaf. Was ich auch tat, ich konnte ihn nicht wecken.
Dann eben nicht. Ich griff unter seine Schultern und zerrte ihn die Böschung hinab, auf das Ufer zu. Die Tatsache, dass sich das Tor mitten im Wasser erhob, erschreckte mich nicht. In dieser Welt war ich eine Göttin, das hatte ich mir selbst gerade wieder bewiesen.
Der brennende Mann schüttelte seinen Flammenkopf. »So geht das nicht, Anna!«
Ich ignorierte ihn und trat hinaus auf das Wasser. Ich sank nicht ein, sondern schwebte dicht über den flachen Wellen, die die Seeoberfläche kräuselten. Ich machte ein paar Schritte und zerrte Eric mit mir, doch seine Füße blieben nicht auf der Wasseroberfläche, sondern schleiften über den schlammigen Grund.
Ich umklammerte seine Brust und zog ihn weiter auf den See hinaus. Sein Körper schien immer schwerer zu werden, so als sauge er sich allmählich mit Wasser voll. |383| Bald konnte ich ihn kaum noch halten. Ich warf einen Blick über meine Schulter. Das Tor war nur hundert Schritte entfernt. Doch ich spürte, dass ich nicht die Kraft haben würde, Eric bis dorthin zu zerren.
Hätte ich doch noch das Schlauchboot dabei! Hilfesuchend sah ich mich um. Etwas Schwimmfähiges war auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Der Fahrer des Rettungswagens stand die ganze Zeit mit offenem Mund und weit geöffneten Augen reglos da, so als sei er ins Wachkoma gefallen.
Dr. Ignacius hielt die brennenden Arme verschränkt. »Lassen Sie ihn los, Anna!«, rief er mit seiner heiseren Stimme. »Sie müssen ihn loslassen!«
Ich blickte nach unten. Das Wasser unter mir war bereits so tief, dass Eric untergehen würde, wenn ich der Aufforderung folgte. Frustriert zerrte ich ihn wieder zurück zum Ufer und legte ihn ins Gras.
»Wie lange wollen Sie noch vor der Wahrheit davonlaufen, Anna?«, fragte der brennende Mann. In seiner Stimme schien Hohn zu liegen.
»Halten Sie Ihr dreckiges Maul!«, fuhr ich ihn an. Verzweiflung drängte sich in meine Stimme. Ich war dem Ziel so nah! Mir fehlte nur ein Mittel, um Eric hinaus auf den See zu befördern, ohne dass er unterging.
Ich warf einen Blick zum Tor. Täuschte ich mich, oder begann der Glanz, der durch den Türspalt schien, bereits zu verblassen?
»Sie können ihn nicht mitnehmen«, wiederholte Dr. Ignacius.
»Ich habe gesagt, Sie sollen Ihr Maul halten!«
»Aber ich will Ihnen doch nur helfen, Anna!«
Drohend hob ich meine Hand. »Wenn Sie nicht aufhören, werde ich Sie vernichten!«
|384| Obwohl sein Mund nur eine dunkle Öffnung hinter den Flammen war, spürte ich sein Lächeln. »Glauben Sie, davor habe ich Angst? Ich bin nur eine Phantasiefigur, schon vergessen?«
Ich inspizierte den Krankenwagen, fand aber nichts, was ich für einen Transport über den See benutzen konnte. Vielleicht, überlegte ich, war es einfacher, wenn ich nicht versuchte, ihn über das Wasser zu tragen, sondern mit ihm bis zum Tor schwamm. Im Wasser war sein Körper wesentlich leichter. Ich konnte auf dem Rücken schwimmen, einen Arm um seine Brust geschlungen wie ein Rettungsschwimmer.
»Es wird nicht funktionieren, Anna«, sagte der brennende Mann, als habe er mir beim Denken zugehört.
Ich ließ ihn unbeachtet stehen und zerrte meinen Sohn erneut ins Wasser. Doch ich merkte bald, dass der Arzt recht hatte: Erics Körper schien schwer wie Blei. Es gelang mir kaum, ihn über Wasser zu halten, selbst wenn ich auf dem Grund stand. Es kam mir vor, als würde er im Wasser noch schwerer als an Land. Es war beinahe, als ob sein regloser Körper im See versinken
wollte
.
»Lassen Sie ihn los, Anna! Es hat keinen Sinn, sich dagegen zu wehren!«
Frustriert schlug ich mit einer Faust ins Wasser. »Nein!«, schrie ich. »Ich werde ihn niemals im Stich lassen!«
Dr. Ignacius erwiderte nichts, musterte mich nur schweigend.
Ich warf einen Blick zu dem Tor. Der Glanz verblasste jetzt deutlich. Schon meinte ich, durch die weiße Tür das ferne Seeufer hindurchschimmern zu sehen.
In meiner Verzweiflung wandte ich mich an den brennenden Mann. »Helfen Sie mir, verdammt noch mal!«
»Das versuche ich ja, Anna. Glauben Sie mir, das versuche |385| ich. Aber Sie müssen zuerst die Wahrheit
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