Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
Vom Netzwerk:
Moment ertönte die Sirene eines Krankenwagens, und ein paar Sekunden später hielt das Fahrzeug am Straßenrand. Ein junger Mann in der Kleidung eines Notarztes sprang heraus. »Madam?«, rief er. »Geht es Ihnen gut, Madam? Sind Sie die Fahrerin des verunglückten Wagens?«
    Immer noch presste etwas meine Brust zusammen, so dass ich nicht sprechen konnte.
    »Madam? Können Sie mich verstehen?«
    Aus der Beifahrertür des Rettungswagens kletterte jetzt ein zweiter Mann. Er trug einen weißen Kittel und hielt einen schwarzen Arztkoffer in der Hand. Der dünne Mund in dem schmalen, eingefallen wirkenden Gesicht war zu einem Lächeln verzogen. »Lassen Sie, ich kümmere mich um sie«, sagte er zu dem Fahrer des Krankenwagens.
    »Dr. Ignacius«, brachte ich hervor. Es klang wie eine fremde Stimme, die aus meinem Mund kam – als sei ich nur die Puppe eines Bauchredners.
    Der Neurologe schien durch meine Würgeattacke keinen größeren Schaden genommen zu haben, was mich einerseits erleichterte, andererseits aber auch tief erschreckte. Hatte er seine Bewusstlosigkeit nur vorgetäuscht?
    Er kam langsam auf mich zu.
    »Lassen … lassen Sie mich in Ruhe!«, rief ich.
    »Ich will Ihnen doch nur helfen, Anna«, erwiderte Dr. Ignacius in beschwichtigendem Tonfall. Er öffnete seinen Arztkoffer und holte eine große Spritze hervor.
    Endlich überwand ich meine Schockstarre. Ich hob eine Hand. »Kommen Sie mir nicht zu nahe!«, rief ich.
    Der Mann ignorierte meine Worte. Er näherte sich mir behutsam, wie ein Tierarzt, der ein gefährliches Raubtier betäuben muss.
    |380| Ich machte einen Schritt zurück. Plötzlich umklammerten mich starke Arme von hinten. Ich hatte den zweiten angeblichen Notarzt nicht im Auge behalten.
    »Beruhigen Sie sich, Anna!«, sagte Dr. Ignacius und hob die Spritze. »Es wird Ihnen nichts geschehen!«
    Ich spürte Zorn in mir, wie ich ihn noch nie empfunden hatte. Lodernde Wut, zu einem Punkt verdichtet, der wie ein winziges atomares Feuer in meinem Bauch glühte, heiß und verzehrend wie die Oberfläche der Sonne. »Sie mieses Schwein!«, stieß ich hervor. Die Wut stieg in mir empor, die Speiseröhre hinauf, glühte in meiner Kehle, brannte in meinem Mund. Ich schrie den Zorn heraus.
    Für eine Sekunde wurde ich durch ein grellrotes Licht geblendet.
    Als ich wieder sehen konnte, traute ich meinen Augen nicht. Dr. Ignacius stand in Flammen. Sein Gesicht und seine Hände brannten lichterloh, doch er blieb reglos stehen und sah mich an. Obwohl seine Augen nur dunkle Flecken hinter den Flammen waren, spürte ich seinen tadelnden Blick.
    »Ich will Ihnen doch nur helfen, Anna«, wisperte der brennende Mann.

|381| 41.
    Mein ganzer Körper begann zu kribbeln wie kalte Hände, die man an einem Kaminfeuer aufwärmt. Die ungeheuerliche Erkenntnis sank nur allmählich in mich ein: Was ich erlebte, war nicht real. Ich war immer noch in Erics Traumwelt.
    Ein Schwindelgefühl befiel mich, und einen Moment lang glaubte ich, die Welt beginne zu verblassen und ich würde endlich aufwachen. Aber wo würde ich dann sein? An welcher Stelle war meine Wahrnehmung von Traum und Realität durcheinandergeraten? Lag ich immer noch in Dr. Ignacius’ Klinik in Cambridge? In der Blockhütte am Raystown Lake? Oder in Erics Bett im Faith Jordan Medical Center?
    Ich drehte mich um, als könne ich in der Phantasielandschaft um mich herum einen Hinweis auf die Realität finden. Und dann sah ich es.
    Das Tor erhob sich mitten im See aus dem Wasser. Es sah aus wie eine normale, schmucklose weiße Tür, doch durch die Ritzen fiel ein gleißendes, kaltes Licht. Metallene Ziffern auf dem Türblatt bildeten die Nummer 212.
    War dies das Ziel meiner Suche, das wahre Tor des Lichts? Oder würde mich die Tür nur wieder zurück auf die Ebene der Tore führen? Es gab nur einen Weg, es herauszufinden.
    Ich machte Anstalten, zum Wagen zu gehen, um Eric zu holen, doch Dr. Ignacius packte mich mit seiner Flammenhand am Arm. Ich spürte die Hitze des Feuers, aber keinen Schmerz.
    |382| »Lassen Sie mich los!«, sagte ich drohend.
    »Was Sie vorhaben, ist unmöglich, Anna!«, erwiderte er mit einer Stimme wie ein kalter Windhauch.
    Ich lachte. »Glauben Sie, Sie können mich aufhalten? Sie sind nicht real! Sie sind nur eine Phantasiefigur, ein Dämon in einem Alptraum!«
    Der brennende Mann nickte. »Vielleicht bin ich das. Aber das ändert nichts an den Tatsachen. Sie können Ihren Sohn nicht mitnehmen!«
    Erneut stieg Wut in mir auf. »Das

Weitere Kostenlose Bücher