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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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ihn auf eines von zwei Betten in einem gemütlich eingerichteten Gästezimmer. »Sie können hier bei ihm schlafen, wenn Sie möchten«, sagte George zu mir.
    Ich war überwältigt von Dankbarkeit. Diese Menschen halfen, ohne Fragen zu stellen. Emily hatte recht: Eric war hier in guten Händen.
    Tante Jo erschien. Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie meinen reglos daliegenden Sohn. »Was habt ihr nun vor? Wollt ihr warten, bis er wieder aufwacht? Ein guter Bekannter von George ist Arzt im Krankenhaus in Huntingdon. Er könnte ihn bitten, mal nach dem Jungen zu sehen. Nur zur Sicherheit.«
    »Nein, nein, das ist nicht nötig«, sagte ich. »Wir … wir kommen schon klar.«
    Tante Jo warf mir einen langen Blick zu, in dem Missfallen zu liegen schien. Sie spürte, dass ich nicht offen zu ihr war, und das, obwohl ich ihre Gastfreundschaft in Anspruch nahm. Ich kam mir schlecht dabei vor.
    »Tante Jo, du … du erinnerst dich doch, als ich die Katze von Mrs. Moreaux gefunden habe …«, sagte Emily.
    »Die in die Felsspalte gefallen war? Ja, natürlich erinnere ich mich. Das ganze Dorf war in Aufregung. Na ja, eigentlich war es die arme Mrs. Moreaux, die alle so verrückt gemacht hat mit ihrer Sorge. Sie ist ja jetzt auch schon, lass mich nachdenken, zwölf Jahre tot. Jedenfalls warst du die Heldin des Tages.«
    »Weißt du noch, dass ich dir damals erzählte, wie ich sie aufgespürt habe?«
    »Du sagtest, du konntest ihre Seele sehen. Und ich habe dir geglaubt. Obwohl der alte Reverend Schuster immer behauptet hat, Tiere hätten keine Seelen. Aber der hat sowieso viel Quatsch geredet. Und warum sollten Tiere auch keine Seelen haben? Schließlich sind sie Geschöpfe Gottes wie wir.«
    »Ich kann auch die Seele dieses Jungen sehen. Ich kann sie berühren.«
    Tante Jo machte ein erschrockenes Gesicht. »Das … ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, Emily! Die Seele ist ein Teil von Gott. Sie zu berühren, heißt Gott berühren!«
    »Was ist so schlimm daran, Gott zu berühren?«, fragte ich. »Ist es nicht das, was jeder aufrechte Christ tun soll?«
    Tante Jo sah mich jetzt verärgert an. »Beten, das sollen aufrechte Christen. Ihre Köpfe in Demut vor dem Herrn und seiner Schöpfung neigen. Aber ihn anfassen wie einen seltsamen Gegenstand, den man irgendwo gefunden hat?«
    »So ist es nicht, Tante Jo«, wandte Emily ein. »Es scheint, als habe sich der Junge irgendwie … in sich selbst verirrt. Seine Seele findet den Weg zum Licht nicht. Wir versuchen, ihr dabei zu helfen.«
    »Wie wollt ihr das machen?«
    »Emily und ich können … mit seinem Geist Kontakt aufnehmen«, sagte ich. »Es ist, als ob wir in seiner Welt sind. Ich meine, wirklich dort. Er ist auf der Suche nach einem 'Tor des Lichts', und wir helfen ihm, es zu finden.«
    Ein Schatten fiel über Tante Jos Gesicht. »Das Tor des Lichts … das klingt schön …«
    Einen Moment lang hatte ich das Gefühl, dass sie Sehnsucht nach dem Tod empfand. Ein erschreckender Gedanke, aber gleichzeitig irgendwie auch tröstlich. In ihren Worten klang die Zuversicht an, dass der Tod nicht das Ende von allem war. Nach dem, was ich erlebt hatte, erschien mir der Gedanke nicht mehr so absurd wie noch vor ein paar Wochen.
    »Wir müssen wieder zu ihm«, sagte ich. »Ich muss nur schnell zum Auto, die … meine Jacke holen.«
    »Ich hatte gehofft, du würdest mir eine Ruhepause gönnen«, sagte Emily, aber ihre Stimme klang nicht vorwurfsvoll.
    »Ich fürchte, Eric hat nicht mehr viel Zeit«, wandte ich ein.
    »Ihr solltet nichts überhasten«, sagte Tante Jo. »Mit ruhigen, gleichmäßigen Schritten kommt man schneller voran als mit zielloser Hektik.«
    Sie hatte leicht reden. Ihr Sohn lag nicht an der Schwelle zwischen Leben und Tod. Ich dachte an die kalte Leere, an das gehässige Lachen des Totengottes, und das Gefühl, dass ich mich beeilen musste, wuchs. Ich lief aus dem Haus zu dem alten Ford und holte zwei Kapseln aus der Plastiktüte.
    Als ich ins Haus zurückkehrte, war Emily mit Eric allein. Ich hielt ihr wortlos eine der Kapseln hin.
    Sie seufzte. »Also schön.« Sie nahm die Pille mit einem Schluck Wasser. »Lass uns ein bisschen spazieren gehen, bis es wirkt«, schlug sie vor.
    Ich war einverstanden.
    Wir gingen einen Weg entlang, der hinter dem Haus durch die Felder führte. Der Mais war noch jung, gerade hüfthoch. Die Luft war lau und duftete nach Sommer. Vögel jubilierten in den Sträuchern am Wegrand, und Insekten umschwirrten uns.
    Ich hatte

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