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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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es keinen Sinn hatte, nach diesem zweiten Arzt, Swenson, oder dem stellvertretenden Klinikleiter zu fragen. Sie waren sicher von Dr. Ignacius instruiert, mich abzuweisen. Auch mit einem Anwalt oder der Polizei zu drohen, würde wenig fruchten. Letztlich war es ja genau das, was diese Leute wollten: mich zu unüberlegten Handlungen provozieren, damit ich mich selbst diskreditierte.
    Andererseits war ich auch nicht bereit, einfach so unverrichteter Dinge wieder nach New York zurückzukehren. Wenn man mich nicht in die Klinik ließ, würde ich mir eben irgendwie Zutritt verschaffen müssen. Ich überlegte kurz, ob ich mich verkleiden und unter einem Vorwand versuchen sollte, in die Klinik zu gelangen, aber ich hatte mich nie für eine gute Schauspielerin gehalten. Es musste einen anderen Weg geben.
    Ich verließ das Gebäude und betrachtete den hohen Gitterzaun, der es umgab. Die Stäbe liefen in pfeilförmigen Spitzen aus. Ohne Hilfsmittel würde ich da nicht drüberklettern können. Zudem gab es in regelmäßigen Abständen Kameras auf Masten, die das ganze Gelände überwachten. Nur die Seite zum See hin schien nicht besonders gesichert zu sein.
    Links und rechts der Klinik befanden sich Villengrundstücke, die ebenfalls mit hohen Zäunen gesichert waren. Etwa fünfhundert Meter entfernt erstreckte sich auf einer Halbinsel ein kleiner Park. Ich setzte mich auf eine Bank am Seeufer, von der aus ich das Gelände der Klinik beobachten konnte. Sie wirkte verführerisch nah. Patienten spazierten umher oder wurden in Rollstühlen geschoben. Jeder in Begleitung einer weißgekleideten Person – offenbar war es Patienten nicht gestattet, das Gebäude allein zu verlassen. Eric war nicht unter ihnen, aber das hatte ich auch nicht erwartet.
    Nach einer Weile fasste ich einen Entschluss. Ich fuhr durch die Straßen von Cambridge, bis ich ein Geschäft für Campingausrüstung fand. Dort kaufte ich ein Schlauchboot mit Rudern, das groß genug für zwei Personen war. Den Rest des Tages verbrachte ich mit erfolglosen Versuchen, Emily, Paul und George zu erreichen.
    Erst am späten Abend näherte ich mich wieder der Klinik. Die Sonne war bereits untergegangen, und am klaren Himmel prangten Sterne. Ein Dreiviertelmond beschien den kleinen Park, der um diese Zeit zum Glück leer war.
    Ich schleppte das Schlauchboot ans Seeufer und breitete es im Schutz eines Gebüschs aus. Als ich es im Halbdunkel dort liegen sah, wurde mir klar, dass es vielleicht klüger gewesen wäre, eines zu kaufen, das nicht ausgerechnet kanarienvogelgelb war. Im Mondlicht würde ich von jedem Punkt des Seeufers aus gut zu sehen sein. Aber das war nun nicht mehr zu ändern.
    Ich hatte die teuerste Luftpumpe gekauft, die das Geschäft im Angebot gehabt hatte. Trotzdem dauerte es ziemlich lange, das Boot startklar zu machen.
    Als ich fast fertig war, hörte ich lautes Kläffen. Ein großer Hund stand auf dem Spazierweg, ein paar Meter entfernt. Zum Glück war er an der Leine.
    »Aus!«, rief der Besitzer, ein stämmiger Mann mit schütterem Haar. »Was hast du denn?«
    Ich versuchte, mich in das Gebüsch zu ducken, aber es war zu spät. Der Mann hatte mich bemerkt. »He, Sie, was machen Sie denn da?«
    Ich trat vor. Obwohl meine Knie zitterten, versuchte ich meine Stimme sorglos und gut gelaunt klingen zu lassen. »Ein Schlauchboot aufpumpen.«
    Im Mondlicht war deutlich zu erkennen, wie der Mann seine hohe Stirn runzelte. »Um diese Zeit?«
    »Warum nicht? Sie gehen doch auch jetzt spazieren, oder?«
    »Sie wollen aber doch wohl nicht angeln? Angeln ist hier ohne Sondergenehmigung verboten!«
    Ich improvisierte. »Angeln? Nein. Das würden mir die Wasserelfen ganz schön übelnehmen. Der Mond steht heute genau in Opposition zur Venus. Da hat sein Licht eine ganz besondere magische Kraft! Haben Sie schon mal Wasserelfen beim Tanzen zugeschaut?«
    Der Mann sah mich einen Moment an, schüttelte dann den Kopf und ging weiter. Ein weiterer Zeuge, der im Zweifel bestätigen würde, dass ich nicht ganz richtig im Kopf war.
    Ich setzte das Aufpumpen fort, schob endlich das Boot ins Wasser und stieg hinein.
    Ich fühlte mich von tausend Augen beobachtet, als ich im hellen Mondlicht auf den See hinausruderte. Zum Glück war es nicht weit bis zum Gelände der Klinik.
    Der größte Teil des Gartens bestand aus Rasenflächen, und direkt am Seeufer gab es nur wenige Büsche. Einen davon nutzte ich als Sichtschutz, verknotete das Boot an einem seiner Äste und kroch an Land.

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