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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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Mehrere Kameras an den Grundstücksgrenzen schienen mich in ihrem Blickfeld zu haben. Ich konnte nur hoffen, dass derjenige, der sie überwachte, nicht besonders aufmerksam war.
    Ich huschte über den Rasen, wobei ich versuchte, den Sichtschutz von Büschen und Bäumen auszunutzen. Nach einem kurzen Sprint erreichte ich die Seite des Klinikgebäudes. Ich spürte meinen Herzschlag im Mund, aber es gab keine Anzeichen, dass mich jemand gesehen hatte.
    Ich schlich zu der Tür, durch die Emily und ich vor kurzem noch den Park betreten hatten.
    Sie war verschlossen.
    Verdammt! War ich so weit gekommen, um mich durch eine blöde Seitentür aufhalten zu lassen? Aber ich hatte keine Möglichkeit, sie geräuschlos zu öffnen.
    Ich blickte an der Gebäudefront entlang. Eines der Fenster im Erdgeschoss schien angelehnt zu sein. Ich sah mich im Park um. Dabei fiel mein Blick auf einen großen Baum, in dessen Sichtschutz ich mich eben noch verborgen hatte. Auf einem der Äste glaubte ich einen schwarzen Schatten zu sehen – einen Vogel, der mich mit kalten, im Mondlicht glitzernden Augen ansah.
    Ich zuckte zusammen. Mein Blick glitt über die Baumkrone, und mir war, als säßen in den tiefen Schatten der Blätter Dutzende, nein Hunderte Vögel und musterten mich aufmerksam wie das Publikum einer Theaterpremiere.
    Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Ich durfte mich von solchen Trugbildern nicht aus der Fassung bringen lassen. In dem Baum war gar nichts!
    Ich vermied es, noch einmal dorthin zu sehen, und konzentrierte mich wieder auf meine Aufgabe. Ich schlich zu dem Zimmer mit dem angelehnten Fenster und spähte hinein. Eine ältere Frau lag im Bett und starrte mit offenen Augen an die Decke. Ich hatte Glück – das Fenster ließ sich lautlos aufdrücken.
    Ich kletterte hinein, ließ mich vom Sims herab und zog das Fenster wieder zu. Der Geruch von Sterilisationsmittel mischte sich mit dem Körpergeruch einer alten, bettlägerigen Frau zu jenem typischen muffigen Krankenhausaroma.
    Die Frau im Bett hatte die Augen geöffnet. Sie drehte sich zu mir um. Im fahlen Licht wirkte ihr Gesicht bleich wie eine Totenmaske, doch ein feines Lächeln umspielte ihren faltigen Mund. »Bist du der Engel?«, fragte sie.
    Ich legte einen Finger auf meine Lippen und schüttelte den Kopf.
    Tränen traten in die Augen der Alten. »Nimm mich mit!«, bat sie. »Bitte, nimm mich mit in den Himmel!«
    »Später«, flüsterte ich. »Ich komme bald zurück, doch erst muss ich noch einen Auftrag erledigen.«
    Die Frau lächelte voller Sehnsucht. Ich fühlte mich schuldig, als ich die Zimmertür öffnete und auf den Korridor hinausspähte. Er war dunkel und leer. Aus einer halb geöffneten Tür fiel grelles Licht. Wahrscheinlich ein Aufenthaltsraum für die Nachtschwester.
    Ich trat hinaus auf den Gang, schloss leise die Tür hinter mir und versuchte, lautlos in Richtung des Treppenhauses zu gehen. In diesem Moment hörte ich ein Summen, das aus dem erleuchteten Zimmer kam. Wahrscheinlich hatte jemand auf den Rufknopf an seinem Bett gedrückt.
    Rasch stellte ich mich in einen Türrahmen auf der gegenüberliegenden Seite des Gangs und betete, dass die Nachtschwester nicht an mir vorbeimusste.
    Sie näherte sich mit schnellen Schritten dem Zimmer, das ich gerade eben verlassen hatte, trat ein und knippste das Licht an. »Was ist denn nun schon wieder, Mrs. Kelley?«
    »Er ist hier«, hörte ich die alte Dame sagen. »Der Engel ist hier! Heute Nacht nimmt er mich mit, das hat er versprochen!«
    Ich wartete den weiteren Dialog nicht ab, sondern eilte so leise wie möglich zur Treppe.
    Ich erreichte das Obergeschoss ohne weiteren Zwischenfall. Hier schien es keine eigene Nachtschwester zu geben, jedenfalls war der Korridor dunkel. Nur ein grünes Notausgangsschild warf ein fahles Licht.
    Am Ende des Flurs lag Zimmer 212. Ich sah die metallenen Ziffern im grünen Licht schimmern. Sie schienen mich zu locken, doch gleichzeitig bekam ich Angst. War mein Eindringen in diese Klinik nicht viel zu einfach gewesen?
    Das ist eine Falle!, schrie ein Teil meines Bewusstseins. Verschwinde von hier, solange du noch kannst!
    Nein. Erst musste ich Gewissheit haben.
    Kalter Schweiß brach aus meinen Poren. Mir wurde schwindlig. Wie in einem dieser seltsamen Träume hatte ich plötzlich das Gefühl, dass der Korridor immer länger wurde und ich mich mit jedem Schritt, den ich auf die Tür zuging, weiter davon entfernte.
    Nach einem Moment merkte ich, dass ich an der

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