Glanz
Wand lehnte und noch keinen einzigen Schritt getan hatte.
Reiß dich zusammen, ermahnte ich mich selbst. Du bist nicht so weit gekommen, um ausgerechnet jetzt schlappzumachen!
Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus, dann ging ich mit zögernden, unsicheren Schritten den Korridor entlang. Als meine Hand die kalte Klinke berührte, durchzuckte mich noch einmal ein Anfall von Paranoia. Ich schloss die Augen und drückte den Türgriff so sanft wie möglich herab. Ein knirschendes Geräusch ertönte. Ich sah mich erschrocken um, doch niemand schien es gehört zu haben.
Ich schob die Tür auf und trat ein.
Fahles Mondlicht fiel durch die dünnen Vorhänge. Die Apparate neben dem Bett waren verschwunden. Eric lag mit entspanntem Gesicht und geschlossenen Augen da.
Ein Seufzer der Erleichterung entfuhr mir. Ich ging zu ihm und berührte seine Wange. »Eric!«, flüsterte ich. »Wach auf, mein Sohn!«
Keine Reaktion.
Ich schluckte die Angst und Beklemmung herunter, die mich plötzlich befielen. Ich rüttelte ihn heftig, gab ihm einen Klaps auf die Wange. Doch was ich auch tat, ich konnte ihn nicht aufwecken.
War er etwa wieder ins Wachkoma gefallen? Was für eine entsetzliche Vorstellung! Aber vielleicht hatte ihm Dr. Ignacius auch nur ein starkes Schlafmittel gegeben. Dafür sprach jedenfalls, dass die Überwachungsapparate und der Schlauch aus seiner Nase verschwunden waren.
Ich klammerte mich an diesen Gedanken wie eine Ertrinkende an ein Stück Treibholz. Doch selbst wenn Eric bald von selbst wieder aufwachen würde, hatte ich ein Problem: Ich musste ihn irgendwie aus der Klinik schaffen. Ich hatte gehofft, dass er selbst würde gehen können, wenn ich ihn stützte. Ich war kaum in der Lage, ihn bis zum Seeufer zu tragen, schon gar nicht so, dass ich dabei nicht gesehen wurde. Sein Bett hatte Rollen, doch es war ungeeignet, über den unebenen Weg im kleinen Park geschoben zu werden.
Mir fiel ein, dass ich neulich im Park Patienten in Rollstühlen gesehen hatte. Ich ging auf den Flur und öffnete leise die Türen der angrenzenden Zimmer. Beim vierten Versuch hatte ich Glück: Im Zimmer eines älteren Mannes stand ein Rollstuhl. Ich schob ihn zu Erics Bett und hievte meinen Sohn hinein.
In diesem Moment öffnete sich die Tür, und blendendes Licht erfüllte den Raum.
40.
»Mrs. Demmet! Was machen Sie denn hier?« Einen Moment erschien es mir, als zeige das Gesicht von Dr. Ignacius echte Überraschung. Doch dann durchschaute ich seine Maske.
»Ich hole meinen Sohn nach Hause!«, sagte ich so ruhig wie möglich.
»Aber warum kommen Sie nicht am Tag?«, fragte der Arzt.
»Warum sind Sie nicht auf dem Medizinkongress in San Francisco, wo Sie doch eigentlich gestern Abend eine Rede halten sollten?«
»Da liegt wohl ein Missverständnis vor. Vielleicht hat man Sie falsch informiert. Der Kongress ist erst nächste Woche.«
»Hören Sie auf mit den Spielchen, Ignacius! Ich weiß genau, was Sie vorhaben. Aber damit kommen Sie nicht durch. Ich habe einen befreundeten Anwalt gebeten, die Polizei zu informieren, sollte ich nicht zusammen mit meinem Sohn bis morgen Abend wieder in New York sein. Der wird Ihnen die Hölle heißmachen, wenn Sie versuchen, mich aufzuhalten!«
Es war nicht zu erkennen, ob mir Dr. Ignacius den Bluff abkaufte. Er hob abwehrend die rechte Hand. »Mrs. Demmet, ich will Ihnen doch bloß helfen!«
»Auf Ihre Hilfe kann ich verzichten! Was haben Sie mit meiner Freundin Emily gemacht? Wo ist sie?«
»Ich habe keine Ahnung. Sie ist vorgestern gemeinsam mit Ihnen abgereist. Wissen Sie das denn nicht mehr?« Die Verwirrung in seiner Stimme klang so echt, dass mich für einen Moment Zweifel befielen.
»Mrs. Demmet, vielleicht sollten Sie sich einer Untersuchung unterziehen«, fuhr der Arzt fort. »Mir scheint, als hätte das Glanotrizyklin bei Ihnen ungewöhnlich starke Nachwirkungen ausgelöst. Das Medikament kann in seltenen Fällen Halluzinationen und paranoide Wahnvorstellungen verursachen. Bei der hohen Dosis und den … intensiven Erlebnissen, die Sie hatten, wäre das nicht überraschend. Vielleicht wäre es am besten, wenn Sie ein paar Tage hier in der Klinik …«
»Das könnte Ihnen so passen!«, rief ich. »Gehen Sie aus dem Weg!«
»Bitte beruhigen Sie sich doch, Mrs. Demmet! Glauben Sie mir, wir kümmern uns hier sehr gut um Ihren Sohn. Wir haben ihm lediglich ein Schlafmittel gegeben, damit er …«
»Gehen Sie aus dem Weg, habe ich gesagt!« Ich versuchte, meiner Stimme einen
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