Glanz
drohenden Unterton zu verleihen, doch sie klang in meinen Ohren schwach und weinerlich. Ich hatte nichts, womit ich diesem Mann drohen konnte, außer meinem erfundenen Anwalt.
»In meiner Verantwortung als behandelnder Arzt kann ich nicht zulassen, dass sie ihn in Ihrem … Zustand mitnehmen, noch dazu mitten in der Nacht!«, sagte er jetzt etwas barscher. »Wie sind Sie überhaupt in die Klinik gekommen?«
Erst in diesem Moment fiel mir auf, dass die linke Hand des Arztes die ganze Zeit in der Tasche seines Kittels steckte. Was verbarg er dort?
»Nehmen Sie die Hand aus dem Kittel!«
Er hob beide Hände und lächelte dünn. »Wovor haben Sie Angst, Mrs. Demmet? Ich will Ihnen nichts tun. Ich will Ihnen nur helfen!«
Mir wurde klar, dass Reden mich nicht weiterbringen würde. Der Doktor spielte mit mir wie eine Katze mit der Maus. Er wartete vermutlich nur auf eine Gelegenheit, mir die Beruhigungsspritze zu verpassen, die er in der Kitteltasche verbarg.
Zorn überkam mich so plötzlich und so heftig wie ein rotes Blitzlicht. Ich hatte Sumpfmonster und einäugige Riesen überwunden, da würde ich mich doch nicht von einem Weißkittel aufhalten lassen! Ein metallischer Geschmack erfüllte meinen Mund, und ich fühlte jede Faser meines Körpers. Ich barg mein Gesicht in den Händen, als müsse ich weinen, und machte einen Schritt auf den Arzt zu. Ich spürte mehr, als dass ich sah, wie seine Linke in die Kitteltasche glitt.
Ich senkte den Kopf, machte einen Satz nach vorn und rammte ihm meinen Schädel gegen die Brust. Dr. Ignacius stieß ein überraschtes »Umpf« aus und taumelte rückwärts gegen die Tür.
Ich schlug ihm mit aller Kraft ins Gesicht. Der Arzt stöhnte auf. Etwas klackerte auf den Boden. Die Spritze!
Ich schloss meine Hände um seinen dürren Hals und drückte zu. Die Augen des Arztes traten hervor. Er öffnete den Mund, wie um zu schreien, doch es kam nur ein Röcheln daraus hervor. Seine Hände schlossen sich um meine Handgelenke, als er versuchte, sich aus meiner Umklammerung zu befreien, doch entweder war er ziemlich schwach, oder Verzweiflung und Zorn verliehen mir außergewöhnliche Kraft. Auf jeden Fall gelang es ihm nicht, meinen eisernen Griff zu lösen.
Nach einem Moment lief er rot an. Er zuckte und strampelte, dann wurde sein Körper schlaff.
Erschrocken ließ ich ihn los. Ich wollte ihn doch nicht umbringen!
Der Körper des Arztes sackte leblos zu Boden. Mein Blick fiel auf den Gegenstand, der herabgefallen war. Ich hatte mich getäuscht: Es war keine Spritze, sondern einer dieser Piepser, mit denen Ärzte in Notfällen herbeigerufen wurden. Möglicherweise hatte er versucht, Hilfe zu holen.
Ich hielt mich nicht damit auf zu überpüfen, ob er noch lebte. Da er den Ausgang versperrte, zerrte ich ihn zur Seite. Dann öffnete ich die Tür, schob Eric auf den Flur und schloss sie wieder.
Wenn jemand den Lärm unserer Auseinandersetzung gehört hatte, war davon nichts zu erkennen. Rasch schob ich den Rollstuhl durch den Flur. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Fahrstuhl zu nehmen.
Es dauerte ewig, bis sich endlich mit einem fürchterlich lauten elektronischen Glockenton die Tür öffnete. Ich schob Eric hinein, drückte den Knopf für das Erdgeschoss und schickte Stoßgebete zum Himmel, während sich der Fahrstuhl langsam senkte. Mein Körper versteifte sich, als sich die Tür öffnete. Ich war darauf gefasst, eine ganze Gruppe von kräftigen Männern in weißen Kitteln zu sehen, die draußen auf mich lauerten. Doch der Flur war dunkel und leer.
Ich schob Eric zu der Tür, die in den Garten führte. Der Schlüssel steckte von innen. Ohne aufgehalten zu werden, gelangte ich hinaus.
Ich konnte mein Glück kaum fassen. So rasch es ging, schob ich den Rollstuhl über den Kiesweg bis zum Seeufer. Mein Schlauchboot lag noch dort, wo ich es vertäut hatte. Ich hievte den tief schlafenden Eric hinein, die ganze Zeit damit rechnend, dass hinter mir Scheinwerfer aufflammen und laute Rufe erklingen würden. Doch es ging nicht einmal das Licht in einem der Klinikfenster an.
Endlich gelang es mir, das Boot mit meinem Sohn loszumachen. In diesem Moment senkte sich ein Schatten über mich. Ich blickte nach oben und sah einen großen Vogelschwarm, der über dem Klinikgelände kreiste und für einen Moment den Mond verdunkelte. Unfähig, mich zu rühren, starrte ich den Tieren nach, die über den See hinausflogen und endlich am dunklen Horizont verschwanden.
Ich ruderte los, so schnell
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