Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
Vom Netzwerk:
ich konnte. Meine Arme zitterten vor Anstrengung.
    Als ich am Ufer des kleinen Parks anlegte, war aus der Klinik immer noch kein Alarmzeichen zu hören. Ich begann, mir Sorgen um Dr. Ignacius zu machen. Hoffentlich hatte ich ihn nicht getötet! Aber für Reue war es zu spät.
    Der schwierigste Teil war es, Eric zu meinem Auto zu befördern. Da ich den Rollstuhl nicht hatte mitnehmen können, musste ich ihn unter die Achseln fassen und wie eine Leiche durch den Park zerren. Wenn mich jetzt jemand sah … Doch ich begegnete niemandem.
    Als ich meinen Sohn endlich auf den Rücksitz meines Autos gewuchtet hatte und immer noch niemand unsere Flucht behinderte, weinte ich vor Erleichterung.
    Das Navigationssystem des Mietwagens führte mich durch die um diese Zeit fast leeren Straßen hinaus aus der Stadt. Als ich auf der Interstate 90 Richtung Südwesten fuhr, kamen die Zweifel wieder. Tat ich das Richtige? Oder hatte Ignacius recht, und ich litt an paranoiden Wahnvorstellungen?
    Andererseits: War es nicht viel zu einfach gewesen, Eric aus der Klinik zu entführen? Wenn Ricarda Hellers Theorie stimmte und Dr. Ignacius für das Militär arbeitete, wenn es sein Ziel gewesen war, Eric aus dem Weg zu räumen, wieso war es mir dann ohne große Probleme gelungen, auf das Gelände zu dringen? Wieso hatte ich ihn einfach so überwältigen können?
    Schweiß brach mir aus allen Poren. Ich hielt am Straßenrand und versuchte erneut, Emily anzurufen. Sie erschien mir mit ihrer ruhigen, besonnenen Art die Einzige, die mich von meinen Zweifeln befreien und mir helfen konnte, einen klaren Kopf zu bekommen. Doch wieder erreichte ich nur den Anrufbeantworter.
    Wenn ich an Verfolgungswahn litt und Dr. Ignacius ein harmloser, rechtschaffener Arzt war, wieso war dann Emily wie vom Erdboden verschluckt?
    Ein ungeheurer Verdacht keimte in mir auf. Was, wenn ich genau das getan hatte, was diese Leute von mir wollten? Wenn sie von Anfang an geplant hatten, dass ich in die Klinik eindringen und Eric entführen würde? Im Nachhinein betrachtet waren meine Aktionen doch so vorhersehbar wie der Wetterbericht für das Death Valley: Es war klar gewesen, dass ich so schnell wie möglich nach Cambridge fahren würde. Auch der Versuch, Eric heimlich aus der Klinik zu holen, war abzusehen gewesen, nachdem ich das schon einmal durchgezogen hatte.
    Mir erschien es plötzlich offensichtlich, dass das Fenster im Erdgeschoss nicht zufällig angelehnt gewesen war. Und war es nicht geradezu absurd anzunehmen, ich könnte mit einem Rollstuhl aus einer rund um die Uhr überwachten, mit etlichen Kameras gesicherten Klinik entkommen, ohne dass es irgendjemand merkte?
    Aber wieso wollten sie, dass ich mit Eric entkam?
    Der Alptraum fiel mir ein: das brennende Auto, Erics flammenverzerrtes Gesicht hinter der Scheibe. Und ich begriff: Sie wollten uns beide umbringen, auf eine denkbar unverdächtige Art – durch einen fingierten Verkehrsunfall.
    Die Kehle schnürte sich mir zu, als mir klar wurde, wie leicht es für eine Geheimorganisation sein musste, mich auf Schritt und Tritt zu beobachten. Sie hatten mich bewusstlos in meine Wohnung verfrachtet. Sicher hatten sie in der Zwischenzeit jede Menge versteckte Kameras angebracht und Leute in der Nähe meiner Wohnung postiert, die mich rund um die Uhr beobachteten. Es war ein Kinderspiel gewesen, mir zur Mietwagenfirma zu folgen und mich bis Cambridge zu beschatten.
    Hatten sie womöglich das Fahrzeug manipuliert, während ich in die Klinik eingedrungen war? Die Bremsschläuche oder die Lenkung so verändert, dass sie nach gewisser Zeit ausfielen?
    Nein, es war zu unsicher, dass wir bei so einem Unfall tatsächlich sterben würden, und falls nicht, konnte man solche Manipulationen nachweisen. Sie würden geschickter vorgehen. Sie würden mich in eine Situation treiben, die sie kontrollierten. Ein Fahrzeug würde mich von der Straße abdrängen, an einer Stelle, an der ich keine Chance hatte zu entkommen. Unfall mit Fahrerflucht würde in der Zeitung stehen – eine kleine Meldung irgendwo im Lokalteil. Vielleicht würde der Reporter erwähnen, dass mein Geisteszustand zum Unfallzeitpunkt fraglich war. Eine Verkettung unglücklicher Umstände, die zum tragischen Tod einer alleinstehenden, verzweifelten Mutter und ihres einzigen Kindes geführt hatte.
    Mit zitternden Fingern ließ ich den Wagen an und steuerte zurück auf den Highway. Was sollte ich tun? Wenn ich von der normalen Route nach New York abwich, würden sie es

Weitere Kostenlose Bücher