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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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Je näher wir ihm kamen, desto breiter wurde es. Schließlich standen wir am Rand einer tiefen Schlucht.
    Ich war einmal mit Eric und Ralph am Grand Canyon gewesen. Als ich das ganze Ausmaß der vor uns liegenden Schlucht sah, war ich sicher, dass dieser Anblick sich tief in Erics Unterbewusstsein eingeprägt hatte. Der Graben war mehrere Kilometer breit und mindestens tausend Meter tief. Seine Ränder fielen fast senkrecht ab. Auf seinem Grund floss träge ein gewaltiger Lavastrom, dessen Glühen die Felswände und den Himmel erleuchtete. Ein beeindruckender Anblick. Unter anderen Umständen hätte ich mir vielleicht gewünscht, meine Kameraausrüstung dabeizuhaben.
    »Das ist der Tartaros«, sagte Eric.
    Ich schluckte. »Wie kommen wir dort hinunter?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Wir wanderten am Rand der Schlucht entlang in die Richtung, aus der die Lava floss. Immer wieder starrte ich hinab auf den leuchtenden Strom, der eine seltsame Faszination auf mich ausübte. Manchmal glaubte ich, tief unten winzige Gestalten zu sehen. Sie standen meistens reglos am Ufer des Stroms, aber manchmal stürzten sie sich auch hinein, als wollten sie ein Bad nehmen. Dann gab es eine |231| kleine Stichflamme, und die Gestalt verschwand. Mit einem Schaudern wandte ich mich dann jedes Mal ab, nur um kurz darauf wieder in die Schlucht zu starren.
    Wir mussten viele Kilometer weit laufen.
    Links und rechts der Schlucht erhoben sich jetzt felsige Hügel, die allmählich in die Ausläufer des Vulkangebirges übergingen. Die Schlucht machte eine Biegung, und als wir einen steilen Berghang überquert hatten, sahen wir in der Ferne einen gewaltigen Vulkan. An seiner Flanke lief ein breiter Lavastrom herab und ergoss sich schließlich in einem gigantischen glühenden Katarakt in die Schlucht.
    Wir hatten die Quelle des flammenden Flusses gefunden.
    Nach etwa zwei Stunden erreichten wir die Ausläufer des Vulkans, die mit feiner schwarzer Asche bedeckt waren. Begleitet vom Donnergrollen des gigantischen Lavastroms, der sich schräg unter uns aus der Bergflanke ergoss, kletterten wir empor. Der Untergrund war heiß und bot kaum Halt. Mehr als einmal rutschte ich in einer kleinen Aschelawine mehrere Meter in die Tiefe, bis ein großer Basaltbrocken mich stoppte. Doch wir gaben nicht auf und kämpften uns weiter den Abhang hinauf.
    Bald erkannten wir auf dem Gipfel des Berges einen Palast. Er sah aus wie die Säulenhallen der Akropolis, bestand jedoch aus glänzendem schwarzen Stein. Wir kletterten weiter und standen schließlich auf der untersten von gut hundert Stufen, die hinauf zu einem riesigen Säulenportal führten. Erst jetzt wurde deutlich, wie groß dieser Palast tatsächlich war. Ich kam mir vor wie ein Käfer auf einer Türschwelle.
    Wir schritten zwischen Säulen hindurch, die so hoch waren wie fünfzehnstöckige Häuser. Vor einem gut zehn Meter hohen und ebenso breiten Tor in der schwarzen |232| Wand stand ein Zyklop, mindestens viermal so groß wie Eric. Er trug eine mattschwarze Rüstung und hielt einen riesigen Speer in der Hand. Sein einziges Auge starrte böse auf uns herab.
    »Was wollt ihr hier, verlorene Seelen?«, rief er mit donnernder Stimme. »Kehrt dorthin zurück, woher ihr gekommen seid, oder ich werfe euch in den Tartaros!«
    »Mach Platz für die göttliche Mutter Anna«, sagte Eric. »Sie begehrt deinen Herrn zu sprechen!«
    Der Zyklop stieß ein dröhnendes Lachen aus. Es klang wie ein Vulkanausbruch. »Wenn sie eine Göttin ist, dann wird sie mich im Kampf besiegen müssen. Ist sie es aber nicht, werde ich sie für alle Ewigkeit in den Abgrund stoßen!«
    Mit diesen Worten hob der Riese seinen Speer und bewegte sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf mich zu.
    »Hier, göttliche Mutter!«, rief Eric und warf mir sein Schwert zu.
    Ich betrachtete die Waffe in meiner Hand und dann den Zyklopen, der jetzt den Speer erhob, um ihn mit tödlicher Gewalt auf mich herabsausen zu lassen. Sollte ich wirklich gegen ihn kämpfen? Das war doch sinnlos!
    Der Riese wartete nicht, bis ich mich mit der Situation abgefunden hatte. Der Speer sauste herab. Nur meine Reflexe retteten mich. Ich hechtete zur Seite, rollte mich ab und versuchte, wieder hochzukommen, doch etwas Gewaltiges drückte mich zu Boden. Der Zyklop hatte seinen Fuß auf mich gestellt. »Stirb, Frevlerin«, brüllte er und hob den Speer.
    »Nein!«, schrie Eric. Da er kein Schwert hatte, nahm er seinen Schild und schleuderte ihn wie einen Diskus gegen die

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