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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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Unterwelt. Er sprach leise, doch seine Stimme trug sehr weit, so dass ich ihn klar und deutlich verstand, obwohl ich noch gut fünfzig Schritte entfernt war. »Ich kann Ihnen helfen!«
    »Ist dir nicht gut, göttliche Mutter?«, fragte Eric besorgt.
    »Es geht schon«, erwiderte ich. Es fiel mir schwer, weiter auf den Thron zuzugehen. Jeder Schritt kostete mich Überwindung. Meine Hände und Knie zitterten, und mein Magen fühlte sich an wie ein Eisklumpen.
    Schließlich blieben wir am Fuß der Treppe stehen, die hinauf zu dem Podest führte. Der Hund hob seine Köpfe und knurrte leise, als wolle er uns warnen, nicht noch näher zu kommen.
    |236| Ich heftete den Blick auf meine Füße wie eine Schülerin, die bei einem Regelverstoß ertappt worden war. Ich konnte den Anblick des brennenden Mannes nicht ertragen.
    »Sehen Sie mich an, Anna«, sagte der Herr der Unterwelt. »Wenn ich Ihnen helfen soll, dann müssen Sie mich ansehen!«
    Ich hob den Blick, und plötzlich erkannte ich das Gesicht von Dr. Ignacius unter den Flammen. Dieser Mann musste bei seinen Untersuchungen irgendetwas Schreckliches getan haben, das meinem Sohn schlimme Schmerzen zugefügt hatte. Für ihn war er der Inbegriff für Qualen und Tod. Ricarda Heller hatte recht gehabt: Er war der Feind.
    »Lassen Sie uns gehen«, stieß ich hervor.
    »Gehen? Wohin?«, fragte der brennende Mann.
    Für einen Moment konnte ich nicht sprechen. Eric sprang für mich ein. »Hades, Herr über Leben und Tod, ich bitte dich in meinem Namen und im Namen der göttlichen Mutter, uns ziehen zu lassen!«
    »Aber ich halte euch nicht auf. Auch wenn ihr meinen Diener erschlagen habt, hege ich keinen Groll gegen euch. Ihr seid frei zu gehen, wohin ihr wollt.« Die Worte des Gottes klangen wie Hohn in meinen Ohren.
    »Aber wir können den Styx nicht überqueren«, sagte ich. »Das wissen Sie doch genau, Sie Scheusal!«
    Hades beugte sich interessiert in seinem Thron vor. »Wer sagt denn, dass ihr das tun müsst?«
    »Wir suchen das Tor des Lichts«, sagte Eric.
    »Das Tor des Lichts, soso.« Obwohl man den Mund kaum erkennen konnte, hatte ich das Gefühl, dass sich das Gesicht des Arztes unter den Flammen zu einem scheußlichen Lächeln verzog. »Der Eingang ins schöne Elysium. Den suchen viele!«
    |237| Eric schien seinen Sarkasmus nicht wahrzunehmen. »Kannst du uns sagen, wo wir dieses Tor finden, göttlicher Hades?«
    Der brennende Mann lachte leise. »Wer, wenn nicht ich, könnte den Eingang ins Paradies kennen? Und wo sollte er sein, wenn nicht in meinem Reich?«
    »Wo ist dieses Tor?«, fragte Eric unbeirrt.
    »Es ist ganz in der Nähe. Ihr müsst nur durch die Tür hinter mir gehen, dann habt ihr es fast erreicht.«
    Etwas an der Art, wie er das sagte, gefiel mir überhaupt nicht. Doch Eric verbeugte sich tief. »Ich danke dir, großer Hades«, sagte er.
    Er machte Anstalten, um den Thron herumzugehen, doch als er sah, dass ich ihm nicht folgte, blieb er stehen. »Komm, göttliche Mutter«, sagte er eindringlich. Es klang, als befürchte er, Hades könne seine Meinung jeden Moment ändern.
    Ich ignorierte die Aufforderung. »Was treiben Sie für ein Spiel mit uns?«, rief ich.
    »Ein Spiel? Ich?« Der brennende Mann lachte erneut. »Ich glaube nicht, dass ich es bin, der hier ein Spiel spielt!«
    »Dann lassen Sie uns in Ruhe! Lassen Sie Eric gehen!«
    »Aber das tue ich, Anna. Ich halte Sie nicht auf. Ich will Ihnen nur helfen. Allerdings müssen Sie sich dazu auch helfen lassen!«
    »Ich brauche Ihre Hilfe nicht«, sagte ich, wandte mich um und folgte Eric.
    Wie Hades gesagt hatte, befand sich in der Wand hinter dem Thron eine Tür. Fremdartige Schriftzeichen waren in den Stein darüber eingeritzt. Obwohl ich sie nicht lesen konnte, wusste ich, was sie bedeuteten: »Die Dinge sind nicht so, wie sie erscheinen.«
    Eric öffnete die Tür. Dahinter war nur absolute Schwärze. 
    |238| Er wandte sich zu mir um. »Komm, göttliche Mutter«, sagte er.
    Auf einmal spürte ich überwältigende Angst und Übelkeit. Etwas war faul. »Nein!«, flüsterte ich, mehr zu mir selbst als zu ihm.
    »Aber wir müssen hindurchgehen«, sagte Eric. »Der Gott der Toten hat es uns gesagt. Er ist allmächtig. Warum sollte er uns anlügen?«
    Darauf wusste ich keine Antwort. Ich hatte auch keine Alternative. Den Weg zurück durch die Unterwelt zu machen, nur um schließlich am unüberwindbaren Styx zu stehen, war sicher keine Lösung. Doch ich hatte schreckliche Angst vor dem, was hinter

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