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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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dieser Schwärze liegen mochte, und ich traute dem brennenden Mann kein bisschen.
    »Ich bin dir gefolgt, als du dich in den Styx stürztest«, sagte Eric mit fester Stimme. »Nun folge du mir.« Mit diesen Worten trat er durch die Tür und verschwand in der Finsternis.
    Wenn ich ihn nicht schon wieder verlieren wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als seinen Wunsch zu erfüllen. Ich machte einen Schritt und fiel in einen lichtlosen, unendlich tiefen Abgrund. Ich wollte schreien, doch ich hörte meine eigene Stimme nicht. Nur das leise Lachen des brennenden Mannes hallte in meinem Kopf wider.

|239| 26.
    Ich fiel.
    Ich wollte mit den Armen rudern, aber ich hatte weder Arme noch Beine. Ich wollte schreien, doch ich besaß keinen Mund und keine Lungen.
    Ich war nicht mehr als ein Gedanke, ein Gefühl, eine einzelne Kerzenflamme in einem kalten Universum ohne Sterne und Galaxien.
    Die Flamme, die ich war, begann zu flackern, kleiner zu werden. Sie würde bald erlöschen, und dann würde nichts mehr sein.
    Das ist nur ein Traum, dachte ich. Wach auf, Anna. Es ist nur ein Traum!
    Ich schlug die Augen auf.
     
    Ich saß in unbequemer Haltung, mit dem Kopf an die Seitenscheibe gelehnt. Meine Schulter schmerzte. Ich streckte mich und sah aus dem Fenster. Wir fuhren durch eine hügelige, blühende Landschaft, inmitten von Feldern, Wiesen und Obstgärten, deren saftiges Grün mit gelegentlichen Tupfern von Rot, Blau und Weiß in fast schmerzhaftem Kontrast zu den düsteren Farben des Tartaros stand. Die tiefstehende Sonne verlieh dieser freundlichen Gegend einen Glanz, der mich an die Wirkung des Medikaments erinnerte, jedoch vollkommen natürlich und deshalb noch schöner war.
    Jetzt rappelte sich auch Emily auf. »Wow, was für ein Trip!«, sagte sie.
    »Wir sind gleich da«, kündigte Maria an.
    |240| »Diese Schriftstellerin hat recht gehabt«, sagte ich. »Dr. Ignacius hat irgendwelche Schweinereien mit Eric angestellt. Anders ist es nicht zu erklären, dass er in seiner Traumwelt auftaucht – ausgerechnet als Hades, der Totengott!«
    »Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen«, widersprach Emily. »Offensichtlich hat Eric Dr. Ignacius irgendwie wahrgenommen. Vielleicht hatte er Angst vor ihm, oder vor den Geräten, an die der Doktor ihn angeschlossen hat. Aber das sagt noch nichts über Ignacius’ Absichten aus. Wenn er vorhätte, Eric aus dem Weg zu räumen – wie könnte Eric das wissen?«
    Ich überlegte einen Moment. »Auf jeden Fall ist es doch seltsam, dass ausgerechnet Dr. Ignacius Hades ist und nicht Dr. Kaufman oder einer der Pfleger aus dem Krankenhaus, die viel mehr Kontakt mit Eric hatten. Irgendwas muss ihn tief erschreckt haben. Vielleicht hat er etwas gehört. Vielleicht hat sich Ignacius in seiner Nähe mit jemandem unterhalten und gedacht, Eric bekäme davon nichts mit. Das wäre doch möglich, oder?«
    »Ja, möglich wäre es. Aber es sind auch ganz andere Erklärungen denkbar.«
    Wir schwiegen den Rest des Wegs, jeder in seine Gedanken versunken. Ich fragte mich, wie es bei unserem nächsten Besuch in Erics Traumwelt weitergehen würde. Die kalte Leere, durch die ich gefallen war, erschreckte mich ähnlich wie das schwarze Wasser des Styx, doch auch daraus war ich unversehrt aufgetaucht. Dennoch machte ich mir große Sorgen. Äußerlich hatte sich Erics Zustand nicht verändert, aber die Bilder in seinem Kopf schienen immer düsterer zu werden.
    Nach einer Viertelstunde erreichten wir ein großes Holzhaus, hinter dem eine Scheune und ein Getreidesilo |241| aufragten. Es lag am Rand eines kleinen Ortes, der nur aus zwei oder drei Dutzend Gebäuden bestand. Am Horizont ragten die sanften Rundungen bewaldeter Bergrücken auf.
    »Willkommen in Steephill, Pennsylvania«, sagte Emily. »Meiner alten Heimat. Dies hier ist das Haus von Tante Jo. Jedenfalls haben wir sie früher so genannt. Eigentlich heißt sie Josefine Derringer und ist nicht mit mir verwandt. Sie ist Quäkerin und war immer so eine Mischung aus Lehrerin, Seelsorgerin, Hebamme, Krankenschwester und Lebensberaterin für die ganze Gegend. Inzwischen ist sie längst über achtzig, aber noch fit wie ein Turnschuh. Komm, ich stell sie dir vor.«
    »Was ist mit Eric?«
    »Den holen wir gleich. Keine Sorge, er ist hier in guten Händen, du wirst sehen. Nun komm erst mal mit.«
    Ich stieg aus. Nach gut sieben Stunden Bewegungslosigkeit auf dem Rücksitz konnte ich kaum gehen. Auf wackligen Beinen folgte ich Emily und Maria zu den Stufen

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