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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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kamen unzählige schwarze Vögel und bedeckten die Körper der Gefallenen mit ihren Flügeln wie ein Leichentuch. Sie brachten diesen immerwährenden Nebel mit sich.«
     
    Während Eric erzählte, hatte ich meine Arme um seinen kalten Leib geschlossen. Jetzt weinte er an meiner Schulter. Bildete ich es mir nur ein, oder war sein Körper schon wärmer geworden?
    »Was soll ich nur tun, göttliche Mutter? Ich habe mich doch bemüht, deinem Willen zu folgen. Aber ich habe weder dir noch meinem Volk einen Dienst erwiesen. Ich habe versagt und werde nun für immer hier herumirren müssen.«
    »Nein«, sagte ich leise. »Nein, das wirst du nicht. Ich hol dich hier raus, egal, was ich dafür tun muss.«
    |227| »Aber niemand außer den Unsterblichen kann den schwarzen Fluss überqueren! Niemand kann das Reich des Hades gegen seinen Willen verlassen!«
    »Dann gehen wir eben zu ihm«, sagte ich.

|228| 25.
    Eric löste sich von mir und sah mich an. In seinen Augen glomm ein winziger Hoffnungsfunke. »Du willst dich ihm zum Kampf stellen?«
    »Wenn es sein muss«, erwiderte ich.
    »Dann werde ich mit dir kämpfen, auch wenn es bedeutet, dass ich bis in alle Ewigkeit im Tartaros schmoren muss.«
    »Was ist das, der Tartaros?«
    »Es ist der tiefste Ort der Unterwelt. Nur die Niedrigsten, Mörder, Verräter und diejenigen, die die Gebote der Götter missachten, müssen dort die Ewigkeit verbringen. Durch die Tartaros-Schlucht fließt der flammende Fluss. An seiner Quelle, so heißt es, hat Hades seinen Palast. Wenn du dem Herrn der Unterwelt gegenübertreten willst, dann müssen wir dorthin.«
    War ja klar, dachte ich. Der übelste Gegner sitzt immer am düstersten Ort des Spiels. Wenn wir ihn überwanden, würden wir das Tor des Lichts finden. »Kennst du den Weg in diesen Tartaros?«, fragte ich.
    Er nickte. »Jede tote Seele kennt ihn. Wir spüren ihn wie einen üblen Geruch, der aus einer bestimmten Richtung weht. Folge mir.«
    Er entfernte sich vom Flussufer. Das war mir nicht recht, aber ich folgte ihm durch den Nebel. Hin und wieder sahen wir schattenhafte Gestalten in der Nähe, Krieger, aber auch Frauen und sogar Kinder, doch sie näherten sich uns nie so weit, dass ich ihre Gesichter hätte erkennen können. Kein Wehklagen und Jammern war zu hören, |229| aber auch kein Ruf eines Tieres. Selbst unsere Schritte waren lautlos. Es herrschte Stille im Reich der Toten. Einmal schnippte ich mit den Fingern, nur um mich zu vergewissern, dass ich nicht taub geworden war.
    Während wir wanderten, dachte ich über das nach, was Eric mir erzählt hatte. Am meisten erschreckte mich daran die zeitliche Verzerrung. Während für mich nur ein paar Tage vergangen waren, klang es, als sei er monatelang unterwegs gewesen, um mich zu finden. War das ein weiteres Zeichen dafür, dass er sich immer mehr aus der Wirklichkeit entfernte? Die Tatsache, dass wir hier durch das Totenreich irrten, war sicher mehr als bloß ein spielerisches Element. Ich ahnte, dass meine Verbindung mit seiner Seele das Einzige war, das Eric noch am Leben hielt. Eile war geboten.
    Irgendwann löste sich der dichte Nebel zu einzelnen Schwaden auf und gab den Blick auf eine felsige, tote Landschaft frei. Nicht einmal die Gerippe abgestorbener Bäume gab es hier. In der Ferne ragte ein Gebirge auf. Schwarze Rauchwolken über den kegelförmigen Gipfeln zeigten, dass es sich um Vulkane handelte.
    Der Rauch verdunkelte immer mehr den Himmel, so dass wir bald kaum noch die Hand vor Augen sehen konnten. Der Boden war von Rissen und Spalten durchzogen, und mehr als einmal blieb ich mit dem Fuß hängen und stolperte, doch Eric war stets zur Stelle, um mich aufzufangen und zu stützen. Die Luft wurde warm und stickig, und ein unangenehmer Schwefelgeruch machte sich breit. Immer häufiger kamen wir an Tümpeln brodelnden Schlamms vorbei.
    Einmal schoss plötzlich nur ein paar Schritte neben mir eine Wasserfontäne aus dem Boden. Erschrocken sprang ich zur Seite, konnte jedoch nicht verhindern, dass mich |230| das kochende Wasser am linken Arm und im Gesicht verbrühte.
    Die einzige Lichtquelle war jetzt ein schwaches rötliches Leuchten am Himmel. Es sah aus, als ginge hinter den Bergen die Sonne unter, doch mir war klar, dass es im Reich der Toten keine Sonne gab.
    Als wir weitergingen, wurde immer deutlicher, dass das Licht nicht vom Himmel, sondern vom Boden stammte und nur von den Wolken reflektiert wurde. In der Ferne zerteilte ein glühendes gezacktes Band die Ebene.

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